OLG Wien-Entscheidung vom 12.2.2025, 17 Bs 383/24h

 

 

Sachverhalt:

Der Privatankläger und der Angeklagte führten wiederholt hitzige Diskussionen zu politischen Themen auf Facebook. In mehreren öffentlichen Postings bezeichnete der Angeklagte den Privatankläger unter anderem als „Schneebrunzer“ („Du bist wahrlich ein Schneebru**er!“), „Wappler“ („Du Wa**ler!“), jemand „bei dem der Lift nicht mehr ganz nach oben fährt“ und „Scheiße schreibt“ und noch weitere vergleichbare Bezeichnungen. Teilweise fielen diese Bemerkungen auf der Facebook-Seite des Privatanklägers selbst, teils auf Drittseiten oder auf der eigenen Seite des Angeklagten.

Kern der Auseinandersetzung war, ob diese Äußerungen strafbare Beleidigungen oder durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt waren. Der Privatankläger klagte sowohl wegen Beleidigung (§ 115 StGB) als auch wegen übler Nachrede (§ 111 StGB) und beantragte zudem Entschädigung nach § 6 MedienG.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach den Angeklagten sowohl hinsichtlich der strafrechtlichen Vorwürfe als auch der medienrechtlichen Entschädigungsanträge frei.

Es habe sich zwar um emotional geführte Diskussionen gehandelt, die Äußerungen des Angeklagten seien aber überwiegend als polemische Meinungsäußerungen im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zu werten. Auch der Privatankläger habe in den sozialen Medien selbst wiederholt zu provokanten Formulierungen gegriffen und den Angeklagten trotz wiederholter Konflikte nicht blockierte.

Das OLG Wien hob das erstinstanzliche Urteil in weiten Teilen auf und erkannte in mehreren Postings des Angeklagten strafbare Beleidigungen im Sinne des § 115 Abs 1 StGB. Das OLG stellte klar, dass die Begriffe „Schneebrunzer“ und „Wappler“ im österreichischen Sprachgebrauch sehr wohl als gleichbedeutend mit „Trottel“ oder „Idiot“ verstanden werden und damit objektiv beleidigenden Charakter haben.

Dass die Phrase „Schneebru**er“ tatsächlich „Schneebrunzer“ bedeutet, ergab sich in einem Umkehrschluss dahingehend, weil sonst keine anderen zwei Buchstaben für die gesetzten Sternchen bekannt sind, um ein Wort der deutschen Sprache zu bilden. Die Phrase „Wa**ler“ konnte nur als „Wappler“ interpretiert werden.

Insbesondere im Kontext der jeweils geführten Diskussionen konnte keine entschuldbare Entrüstungsreaktion festgestellt werden (§ 115 Abs 3 StGB). Eine „entschuldbare Entrüstungsreaktion“ wäre etwa gegeben, wenn die Entrüstung für einen Durchschnittsmenschen nachvollziehbar wäre und die Reaktion anlassadäquat erfolgte. Dies verneinte das Gericht, da der Beschimpfte den Angeklagten nicht verbal angegriffen hatte, sondern nur seine politische Meinung kundtat und zu einer angemesseneren Sprache mahnte.

In Bezug auf andere Aussagen bestätigte das OLG die Freisprüche, wie insbesondere „bei dem fährt der Lift nicht mehr ganz nach oben“, „Scheiße schreiben“, „l.m.a.A.“ (leck mich am Arsch) sowie die Behauptung, der Privatankläger sei „hinausgeflogen“. Diese Äußerungen seien nicht als strafbare Beschimpfungen zu werten, sondern als zulässige Kritik bzw Ausdruck der Diskussionsermüdung.

Das OLG betonte, dass auch im Rahmen politischer Diskussionen bestimmte Grenzen der Ausdrucksweise einzuhalten sind. Werturteile ohne hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse sind auch gegenüber Politikern nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Die geltend gemachten Entschädigungsansprüche nach § 6 Abs 1 MedienG wurden vollständig zurückgewiesen. Denn der Angeklagte war nicht Medieninhaber der jeweiligen Plattformen, auf denen die Aussagen getätigt wurden (Facebook-Seite des Privatanklägers bzw einer dritten Person).

 

 

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