OGH-Entscheidung vom 19.4.2023, 15 Os 18/23w
Sachverhalt:
Der Antragsteller ist ein bekannter österreichischer Politiker. Unter anderem war er Bundesparteivorsitzender einer Partei und von Ende 2017 bis Mitte Mai 2019 Vizekanzler der Republik Österreich.
Die Antragsgegnerin ist Medieninhaberin einer Website, auf der ein Artikel mit der Überschrift „Irre Spesenliste von Ibiza-
“ abrufbar war. Der Artikel berichtete darüber, dass der Antragsteller Potenzmittel auf Rechnung der Partei gekauft habe. Konkret habe der Artikel beinhaltet, dass der Antragsteller „seiner“ Partei Spesenrechnungen zur Zahlung übergeben habe, auf welchen auch Ausgaben für Diät- und Potenzmittel erfasst gewesen seien. Der Artikel wurde in Österreich etwa 500-mal abgerufen.Der Antragsteller selbst nahm in einem Facebook-Posting zur Thematik „Einnahme des Medikaments Cialis“ von sich aus Stellung. In diesem Posting nahm er Bezug auf die kursierende Berichterstattung und gab an, dass ihm ein Medikament gegen „Prostatahyperplasie“ verschrieben wurde.
Der Antragsteller sah sich dadurch in seinem höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt und beantragte, die Antragsgegnerin nach
zur Zahlung einer Entschädigung sowie zur Urteilsveröffentlichung zu verurteilen.
Entscheidung:
Das Erstgericht sprach aus, dass der Antragsteller in seinem höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt wurde. Es verpflichtete die Antragsgegnerin nach § 7 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 500 Euro und zur Urteilsveröffentlichung. Der Leser habe den Erwerb von Potenzpillen nur in Zusammenhang mit dem Sexualleben des Antragstellers und zwar derart verstanden, dass dieser offenbar für ein erfülltes Sexualleben auch Potenzmittel einsetze, weil er unter erektiler Dysfunktion leide. Der Leser habe erkannt, dass gegen den Antragsteller wegen der Spesenrechnungen, mit welchen dieser allfällig dem privaten Bereich zuzuordnende Ausgaben der Partei hätte „unterjubeln“ wollen, seitens der Staatsanwaltschaft ermittelt werde.
Gegen dieses Urteil erhob die Antragsgegnerin Berufung. Der Antragsteller habe die Thematik in seinem Facebook-Posting von sich aus in die Öffentlichkeit getragen. Dadurch habe der Antragsteller diese Thematik aus seinem höchstpersönlichen Lebensbereich herausgenommen. Das Oberlandesgericht Wien gab d
des Privat- und Intimlebens durch den Antragsteller könne dementsprechend keine Rede sein.Die Generalprokuratur erhob dagegen erfolgreich Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Der OGH war ebenfalls der Ansicht, dass der Antragsteller seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verlassen hatte.
Im Fall konfligierender Grundrechte, hier des Rechts des Antragstellers auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 MRK einerseits und des Rechts der Antragsgegnerin auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK andererseits, ist eine Interessenabwägung nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dazu entwickelten Kriterien vorzunehmen: Maßgeblich sind demnach der Beitrag der Veröffentlichung zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Rolle oder Funktion der betroffenen Person, der Gegenstand der Berichterstattung, das frühere Verhalten der Person, Inhalt und Form der Veröffentlichung, die Art und Weise, wie die Information erlangt wurde, sowie deren Wahrheitsgehalt.
Auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen haben Anspruch darauf, dass ihre Privatsphäre geschützt wird, wobei zugunsten der Pressefreiheit auch zu berücksichtigen ist, ob die betreffende Person selbst bestimmte Inhalte öffentlich gemacht hat.
Wer Informationen aus seinem Privatleben bewusst an eine mediale oder sonst große Öffentlichkeit adressiert, verlässt seinen höchstpersönlichen Lebensbereich und kann sich nicht mehr auf den Schutz des § 7 MedienG berufen. Dass der Grund für die Preisgabe von Umständen des Privat- oder Intimlebens in der Reaktion auf eine vorangegangene Veröffentlichung liegt, ist dabei rechtlich ohne Bedeutung. Wenn der Betroffene im Rahmen einer Debatte Informationen mit Bezug zum höchstpersönlichen Lebensbereich aus den Medien aufnimmt, sie kommentiert und sich so an einer Diskussion über Details seines Intimlebens beteiligt, disponiert er über sein Recht, über das der Öffentlichkeit eröffnete Persönlichkeitsbild selbst zu bestimmen.
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