OGH-Entscheidung vom 23.1.2020, 6 Ob 236/19b

 

Sachverhalt:

Der Kläger war führender Politiker der FPÖ. Der Beklagte ist selbständiger Rechtsanwalt.

Im Mai 2019 wurde ein – nunmehr als „Ibiza-Video“ bekanntes – Video öffentlich, auf dem der Kläger zu sehen war. Der Beklagte ließ ein Gespräch zwischen (u.a.) dem Kläger und einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte heimlich mit Bild und Ton filmen, um das Video gewinnbringend zu verkaufen. Das Video dauert sechs bis sieben Stunden, von denen nur einige Minuten öffentlich gemacht wurden. Weitere Sequenzen des Videos wurden als Transkript veröffentlicht. Der Kläger trat in der Folge als Obmann des Klubs der Abgeordneten der FPÖ zum Nationalrat und zum Bundesrat zurück.

Der Kläger beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung und klagte auf Unterlassung. Dem Beklagten solle verboten werden, ohne Einverständnis des Klägers Ton- oder Bild- bzw. Filmaufnahmen herzustellen und diese zu veröffentlichen; ebenso solle er es unterlassen, die in seinem Auftrag hergestellte, in der Öffentlichkeit mit der Bezeichnung „Ibiza-Video“ bezeichneten Filmaufnahmen zu veröffentlichen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge. Der OGH befand den Revisionsrekurs des Beklagten jedoch für zulässig und teilweise berechtigt. Aus der Begründung:

Zunächst führte der OGH aus, dass bereits die Herstellung eines Bildes ohne Einwilligung des Abgebildeten einen Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht im Sinn des § 16 ABGB begründen kann. Analog zum Recht am eigenen Bild ist in der Judikatur auch das „Recht am eigenen Wort“ anerkannt, das ebenfalls aus § 16 ABGB abgeleitet wird. Bereits die Tonbandaufnahme einer Besprechung ohne Zustimmung des Gesprächspartners ist grundsätzlich rechtswidrig. Geheime Bildaufnahmen im Privatbereich und eine fortdauernde unerwünschte Überwachung stellen eine Verletzung der Geheimsphäre dar.

Bei der rechtlichen Beurteilung bedürfe es einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall. Den Medien müsse es aber jedenfalls möglich sein, ihre Rolle eines „public watchdog“ in einer demokratischen Gesellschaft zu erfüllen. Der OGH hat in früheren Entscheidungen bereits klargestellt, dass sich ein „Verwertungsverbot“ für rechtswidrig erlangte Informationen nicht aus der Rechtsordnung ableiten lässt und auch mit der vom EGMR postulierten Rolle der Medien als „public watchdog“ unvereinbar wäre. Allerdings haben auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nimmt.

Beim Kläger handle es sich um eine Person der Zeitgeschichte. Das aufgenommene Gespräch stand ausschließlich im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit und diente der vermeintlichen Kontaktaufnahme der vorgeblichen reichen Ausländerin mit Vertretern einer politischen Partei. Der Kläger musste daher davon ausgehen, dass ihm seine Äußerungen von den Gesprächsteilnehmern in seiner Funktion als Repräsentant seiner politischen Partei und als Träger öffentlicher Ämter zugerechnet würden. Die dokumentierten Verhaltensweisen des Klägers sind darüber hinaus für die Meinungsbildung der Öffentlichkeit über die persönliche Eignung des Klägers zur Ausübung politischer Ämter daher in hohem Ausmaß relevant.

Die gezielte Anfertigung der Aufnahmen sowie deren Weitergabe an Dritte stellt laut OGH dennoch einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, weil er berechtigt darauf vertrauen durfte, dass keine Aufzeichnungen des Gesprächs stattfinden. Im vorliegenden Fall schlage hinsichtlich der Herstellung der Ton- und Bildaufnahmen auch die Interessenabwägung zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung seiner Persönlichkeit und dem Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung zugunsten des Klägers aus. Zu Lasten des Beklagten war zudem die verpönte Art der Erlangung der Aufnahme zu berücksichtigen. Das Gespräch kam erst durch Täuschungen zustande.

Da der Beklagte die Aufnahme veranlasste, um das Video gewinnbringend zu verkaufen, ergebe sich kein von Art 10 EMRK geschütztes Interesse des Beklagten, das höher zu bewerten wäre als die Interessen des Klägers. Der OGH bestätigte die daher die Vorinstanzen im Hinblick auf die Untersagung der Herstellung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen.

Im Hinblick auf die Veröffentlichung der Bild- und Tonaufnahmen kam der OGH hingegen zu dem Ergebnis, dass sich der Beklagte hier zur Rechtfertigung auf die von Art 10 EMRK geschützte Meinungsäußerungsfreiheit stützen kann, weil die hier zu beurteilende Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete. Durch die Weitergabe des Videos an Medienunternehmen und die dadurch ermöglichte Veröffentlichung wurde die Öffentlichkeit in die Lage versetzt, sich selbst ein Bild über die persönliche Integrität des Klägers zu machen und daraus Schlüsse auf seine Eignung zur Ausübung hoher politischer Ämter zu ziehen. Es sei von Bedeutung, dass derartige Themen, die unter anderem Dispositionen der öffentlichen Hand betreffen, nicht im Rahmen eines geschäftlich ausgestalteten Arbeitstreffens, sondern an einem Urlaubsort bei reichlich Alkoholkonsum diskutiert wurden. Gerade dieses Umfeld und die Art der Diskussion ermöglichen die Beurteilung der Integrität und des Verantwortungsbewusstseins des (unter anderem) Klägers als Politiker und Inhaber öffentlicher Ämter.

Die Veröffentlichung der Videoaufnahme leistete daher einen außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse. Dieser Beitrag ist im vorliegenden Fall höher zu gewichten als das Interesse des Klägers an der Wahrung der Vertraulichkeit des stattgefundenen Gesprächs.