OGH-Entscheidung vom 26.4.2024, 6 Ob 210/23k
Sachverhalt:
Der Kläger ist Polizist. Er stand im Februar 2021 bei einer Demonstration gegen Covid-19-Maßnahmen im Einsatz und wurde dabei fotografiert bzw gefilmt. Ein Dritter veröffentlichte das Video auf Facebook mit folgendem – einen Aufruf zur Beteiligung an einem „Shitstorm“ enthaltenen – Begleittext:
„Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in I*. Ein 82 jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig.“
Tatsächlich war der Kläger damals (nur) Glied einer polizeilichen Absperrkette gewesen und hatte nicht an der Amtshandlung gegenüber dem 82-jährigen Mann teilgenommen.
Der Beklagte ist Medieninhaber eines Facebook-Profils, dessen veröffentlichte Beiträge weltweit aufrufbar sind. Er erkannte auf dem Bild den Kläger als Polizisten und las auch den Text des „Ursprungspostings“, den er nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfte. Der Beklagte teilte auf seinem Facebook-Profil einen Screenshot dieses Postings. Der Beitrag war jedenfalls sechs Tage online. Wie viele „Facebook-Freunde“ der Beklagte zu diesem Zeitpunkt hatte und wie oft das Posting geteilt wurde, konnte nicht mehr festgestellt werden.
Der Kläger machte weitere 406 Personen ausfindig, die diesen Beitrag auf ihren Facebook-Profilen geteilt hatten. Unter den Postings fanden sich mehrere abschätzige Kommentare. Insgesamt war die Situation für den Kläger sehr belastend.
Der Kläger begehrte vor Gericht Widerruf und dessen Veröffentlichung, Feststellung, und Schadenersatz in Form einer Stufenklage (Rechnungslegungs-/Auskunftsbegehren).
Entscheidung:
Das Erstgericht erachtete durch das Posting Ehrenbeleidigung und Rufschädigung als bewirkt und verpflichtete den Beklagten zum Widerruf der Behauptungen als unwahr und zur Veröffentlichung dieses Widerrufs für die Dauer von einem Monat auf dessen Facebook-Profil. Wegen der Bildnisschutzverletzung und der Verletzung des Datenschutzes sprach es dem Kläger insgesamt EUR 450 zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung beider Parteien nicht Folge.
Der OGH befand die Revision des Klägers gegen die Abweisung der Stufenklage und des (Eventual-)Zahlungsbegehrens für zulässig und teilweise berechtigt. Kern des Revisionsverfahrens war die Frage, ob und in welchem Umfang der Beklagte als am Shitstorm teilnehmender einzelner Poster für den eingetretenen immateriellen Schaden ersatzpflichtig ist.
Der OGH befasste sich zunächst mit der geltend gemachten Verletzung des Datenschutzrechts sowie des Bildnisschutzes: Bei einem (Digital-)Foto, auf dem die abgebildete Person erkennbar ist, handelt es sich nach den Legaldefinitionen in Art 4 Z 1 DSGVO und § 36 Abs 2 Z 1 DSG um „personenbezogene Daten“. Mit dem Bedeutungsinhalt des Postings wurde eine Äußerung verbreitet, die den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt (§ 111 StGB). Für Schadenersatz bei Verletzung des Bildnisschutzes fordert die Rechtsprechung eine erlittene Kränkung, die über den mit jeder Urheberrechtsverletzung verbundenen Ärger hinausgeht. Für Schadenersatz nach der DSGVO besteht dagegen keine „Bagatellgrenze“ oder Erheblichkeitsschwelle. Schadenersatz nach der DSGVO setzt aber nicht nur einen schuldhaft begangenen Verstoß gegen die jeweiligen Rechtsvorschriften und den Eintritt eines Schadens voraus. Es muss zwischen Verstoß und eingetretenem Schaden auch ein Kausalzusammenhang gegeben sein.
Der Beklagte bezweifelt in der Revision eine Schadensverursachung durch ihn – und damit den Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem beim Kläger eingetretenen Schaden.
Für das Teilen des Postings bei weltweiter Abrufbarkeit gilt dies schon deshalb, weil potentiell jedermann das konkrete Posting gelesen haben und theoretisch alle weiteren Reaktionen darauf zurückgeführt werden könnten. Insoweit liegt „konkret gefährliches Handeln“ für den ab dem Posting eingetretenen Schaden vor. Aber auch bei eingeschränktem Empfängerkreis könne dies nicht anders gesehen werden. Jede einzelne schädigende Handlung in Form der Weiterverbreitung verursacht zwar jeweils für sich bereits einen Schaden (eine Datenschutzverletzung und eine Bildnisschutzverletzung). Es ist aber die Entwicklung des (Gesamt-)Schadens – wie auch die des Shitstorm – gerade nicht linear. Vielmehr eröffnet jede der schädigenden Handlungen in Kombination mit dem Aufruf zur Weiterverbreitung „im Netzwerk“ des jeweiligen Schädigers ein weiteres Verbreitungs- und somit Schadenspotenzial. Die Schadensentwicklung ist damit potenziell exponentiell.
Nach § 1301 ABGB können mehrere Personen für einen widerrechtlich zugefügten Schaden verantwortlich werden. Mehrere Schädiger haften solidarisch, wenn sich die „Anteile“ nicht bestimmen lassen (§ 1302 Satz 2 ABGB).
Eine Teilbarkeit des Schadens konnten weder der Beklagte noch der Kläger darlegen oder gar nachweisen. Es ist vom Geschädigten nicht mehr abzuverlangen, als dass er behauptet und belegt, Opfer eines Shitstorm zu sein (oder gewesen zu sein). Aufgrund der Unaufklärbarkeit der Schadensanteile des einzelnen Posters kann er im Regelfall berechtigt den (unteilbaren) Gesamtschaden von einem Schädiger fordern. Es sollte auch nicht dem Opfer des Shitstorm auferlegt sein, die Anzahl der Teilnehmer für die Bemessung des Schadens zu eruieren.
Wer sich an einem Shitstorm beteiligt, muss damit rechnen, dass er den Gesamtschaden gegenüber dem Opfer (vorweg) leisten und sich in der Folge der Mühe der Aufteilung des Ersatzes unter den anderen Schädigern unterziehen muss.
Die Schädiger müssen selbst untereinander im Wege des § 896 ABGB Regress nehmen. Die einzelnen Poster, die zumindest teilweise untereinander vernetzt sind und wissen, an welche „Freunde“ sie den Beitrag weitergeleitet haben, können auch ungleich leichter die Anzahl der Schädiger eruieren und den Schaden im Regressweg untereinander aufteilen.
Die Bemessung des Schadens erfolgte – für die Datenschutzverletzung innerhalb der vom EuGH aufgezeigten Grenzen – nach nationalem Recht gemäß § 273 ZPO. Der Kläger begehrte insgesamt 3.000 EUR, die ihm vom OGH zugesprochen wurden.
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