OGH-Entscheidung vom 20.10.2021, 6 Ob 168/21f

 

Sachverhalt:

Auf den Facebook-Profilen beider Beklagten wurde ein identes Posting über einen Polizeieinsatz bei einer Demonstration veröffentlicht. Unter anderem war dort zu lesen „Bezirksinspektor M***** eskalierte bei der Demo in Innsbruck am 20. 2. 2021. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört. Bezirksinspektor M***** ist schuldig“.

Der Kläger begehrte von den Beklagten den Widerruf der Tatsachenbehauptung als unwahr und darüber hinaus vom Erstbeklagten Schadenersatz. Der Beitrag sei auf mehr als 1.500 Facebook-Profilen geteilt worden. Der von den Beklagten losgetretene Shitstorm habe gewaltige Ausmaße.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage hinsichtlich des Zweitbeklagten zurück, da sich dessen Wohnsitz nicht im Sprengel des angerufenen Gerichts befand. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH befand den dagegen gerichteten Revisionsrekurs des Klägers jedoch für berechtigt.

Nach § 93 Abs 1 JN können unter bestimmten Voraussetzungen mehrere Personen mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen zusammen als Streitgenossen vor jedem inländischen Gericht geklagt werden. Mit dem Begriff „Streitgenossen“ sind nach herrschender Auffassung nur jene Streitgenossen gemeint, die aufgrund ihrer gemeinsamen Mitberechtigung/Mitverpflichtung aus demselben tatsächlichen Grund, wegen einer Rechtsgemeinschaft oder wegen einer solidarischen Berechtigung/Verpflichtung gemeinsam geklagt werden können, bei denen es sich somit um materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO handelt. Nach § 11 ZPO können mehrere Personen (als Streitgenossen) gemeinschaftlich klagen oder geklagt werden, (Z 1) wenn sie in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind, sowie (Z 2) wenn gleichartige, auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grunde beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden, und zugleich die Zuständigkeit des Gerichts hinsichtlich jedes einzelnen Beklagten begründet ist. Folglich setzt nur die Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO einen gemeinschaftlichen Gerichtsstand voraus. Der Fall der „Rechtsgemeinschaft“ ist im vorliegenden Fall evident nicht erfüllt. Allerdings liegt materielle Streitgenossenschaft auch vor, wenn für alle Streitgenossen ein einheitlicher rechtserzeugender Sachverhalt gegeben ist.

Im vorliegenden Fall stützt der Kläger die Haftung der Beklagten auf ihre gemeinsame Teilnahme an einem „Shitstorm“. Die Beklagten hätten beabsichtigt, dem Kläger größtmöglich zu schaden. Neben der Textmitteilung sei die Rufschädigung des Klägers auch durch den Schneeballeffekt des „Shitstorms“ eingetreten, weil das Posting auch die Aufforderung enthielt, das Posting weiter zu verbreiten.

Nach Ansicht des OGH konnte daher kein Zweifel bestehen, dass die Beklagten aus demselben tatsächlichen Grund verpflichtet sind, sofern sich das Klagsvorbringen als zutreffend erweisen sollte. Dem Revisionsrekurs wurde daher Folge gegeben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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