OGH-Entscheidung vom 30.8.2023, 6 Ob 166/22p

 

Sachverhalt:

Der Kläger ist österreichischer Pilot und ehemaliger Profifußballer. Sein Bruder wurde vor etwa drei Jahren bereits dazu verurteilt, bestimmte Äußerungen über den Kläger zu unterlassen; ebenso wurde ihm im Zusammenhang mit einer Verurteilung wegen gefährlicher Drohung aufgetragen, den Kläger und dessen Familie nicht mehr zu kontaktieren. Der Bruder des Klägers richtete in weiterer Folge einen Instagram-Account ein und veröffentlichte dort Postings. Der Account-Inhalt führte dazu, dass der Kläger von Freunden und Arbeitskollegen darauf angesprochen wurde, dies mit dem Hinweis, dass er quasi als fluguntauglich hingestellt werde.

Der Klagevertreter forderte Instagram-Betreiberin Meta Platforms (Beklagte) erfolglos auf, den Account zu löschen. Erst nach Erlassung eines gerichtlichen Unterlassungsauftrags wurde der Account in Österreich geogeblockt. Ein Zugriff von einem Rechner mit einer österreichischen IP-Adresse ist seither nicht mehr möglich. Der Kläger beantragte nun vor Gericht, der Beklagten die weltweite Unterlassung der Verbreitung wort- und sinngleicher Inhalte aufzutragen.

Streitgegenständlich waren etwa Aussagen wie „der Kläger würde seinen Sohn zu einem Mörder erziehen, sei ein ‚Bruchpilot‘, leide an einer Gehirnkrankheit (‚Wahnvorstellungen‘), wäre ein potentieller Selbstmordpilot, ein Hooligan-Rapper, der die Justiz getäuscht hätte; der Kläger hätte Medien, Arbeitgeber und Behörden hinters Licht geführt, durch eine Zeugenaussage wäre eine Drogeneinnahme des Klägers bewiesen“ etc.

Die Beklagte wendete die sachliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein und hielt dem Begehren entgegen, dass der gegenständliche Rechtsstreit sei nach irischem Recht zu beurteilen sei und im Übrigen auch nach österreichischem Recht keine hinreichende Abmahnung erfolgte.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Unzuständigkeitseinrede zurück, wies das Klagebegehren jedoch ab. Die Inhalte des Instagram-Accounts könnten der Person des Klägers nicht hinreichend eindeutig und bestimmt zugeordnet werden. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es müssten besondere Prozessvoraussetzungen vorliegen, damit der gegenständliche Unterlassungsanspruch im Mandatsverfahren geltend gemacht werden könne. Dem Kläger sei zudem der Nachweis einer erheblichen, eine natürliche Person in ihrer Menschenwürde beeinträchtigenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten im elektronischen Kommunikationsnetz der Beklagten misslungen. Der OGH erachtete die Revision des Klägers für zulässig und teilweise berechtigt:

Will eine natürliche Person im Mandatsverfahren nach § 549 ZPO (Verfahren wegen erheblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz) einen Antrag auf Erlassung eines Unterlassungsauftrags stellen, muss sie eine erhebliche, sie in ihrer Menschenwürde beeinträchtigende Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz geltend machen und der Klage einen Nachweis aus dem elektronischen Kommunikationsnetz anschließen. Der Unterlassungsauftrag ist zu erlassen, wenn sich der behauptete Anspruch aus den Angaben in der Klage schlüssig ableiten lässt (§ 549 Abs 1 ZPO).

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag auf Erlassung eines Unterlassungsauftrags abzuweisen und in der Regel das ordentliche Verfahren über den geltend gemachten Unterlassungsanspruch einzuleiten. Werden gegen die Erlassung eines Unterlassungsauftrags Einwendungen erhoben, so ist ebenfalls das ordentliche Verfahren durchzuführen und über den Anspruch mit Urteil zu entscheiden. Kommt das Gericht zum Ergebnis, dass zwar die Voraussetzungen für die Erlassung des Unterlassungsauftrags gefehlt haben, wohl aber der Anspruch berechtigt ist, dann ist der Beklagte zur Unterlassung zu verurteilen. In einem solchen Fall ist auch der Unterlassungsauftrag aufrecht zu erhalten.

Für die Sachentscheidung im ordentlichen Verfahren ist daher nicht mehr relevant, ob eine erhebliche, eine natürliche Person in ihrer Menschenwürde beeinträchtigende Verletzung von Persönlichkeitsrechten iSd § 549 Abs 1 ZPO vorliegt. Die Klage ist betreffend die materielle Anspruchsberechtigung vielmehr als „gewöhnliche“ Unterlassungsklage zu behandeln.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nach österreichischem Recht zu beurteilen. Bei der Beklagten handelt es sich um einen Host- Gemäß Art 3 Abs 2 der E-

Das Herkunftslandprinzip gilt aber nicht unbeschränkt. Neben Bereichsausnahmen können Gerichte auch gemäß § 22 ECG im Einzelfall zum Schutz taxativ genannter Rechtsgüter und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abweichend Maßnahmen treffen, dies unter anderem zum Schutz der Würde einzelner Menschen. § 22 Abs 2 Z 2 ECG umfasst den Schutz bestimmter Persönlichkeitsrechte natürlicher Personen.

Die E-Commerce-RL beeinträchtigt die nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten den zuständigen Behörden oder Gerichten zustehende Möglichkeit, von einem Provider das Abstellen oder Verhindern einer Rechtsverletzung zu verlangen, grundsätzlich nicht. Die Voraussetzungen und die Modalitäten solcher gerichtlicher Verfügungen bestimmen sich nach nationalem Recht (siehe zB hier Glawischnig gegen Facebook).

Im vorliegenden Fall hatte der OGH daher zunächst zu beurteilen, ob der in § 22 Abs 2 Z 2 ECG genannte Fall vorliegt, der ein Abweichen vom Herkunftslandprinzip des § 20 Abs 1 ECG rechtfertigt:

Im konkreten Fall erfolgten mehrere gegen die Ehre des Klägers gerichtete Äußerungen desselben Täters in demselben Account des von der Beklagten betriebenen Onlinedienstes. Nach dem Gesamtbild des Eingriffs lag eine Verletzung der Würde des Klägers vor.

Nach der Rechtsprechung des OGH ist auf Ansprüche wegen ehrverletzender und/oder rufschädigender Äußerungen nach dem anzuwendenden § 48 Abs 2 IPRG das Recht jenes Staats anzuwenden, in dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt wurde. Dabei hat der OGH bereits ausgesprochen, dass auch der Ort, an dem eine im Ausland hergestellte Druckschrift, Sendung oder dergleichen im Inland einlangt und dort ihre (rechtswidrige) Wirkung entfaltet, als Begehungsort anzusehen ist, wobei dies auch für eine Verbreitung im Internet gilt. Sowohl der Kläger als auch dessen Bruder haben ihren Wohnsitz im Inland. Daher sind die geltend gemachten Ansprüche des Klägers nach österreichischem Recht zu beurteilen.

Eine ausreichende Abmahnung gemäß § 20 Abs 3 ABGB erfolgte spätestens durch das Vorbringen im gegenständlichen Verfahren. Zweck dieser Bestimmung ist es, die erforderliche Kenntnis eines Diensteanbieters von der rechtswidrigen Information herzustellen, um ihm die Möglichkeit zu geben, den Inhalt unverzüglich zu entfernen. Reagiert der Diensteanbieter auf eine solche Mitteilung nicht, kann gerichtlich gegen ihn vorgegangen werden. Die Abmahnung kann durch entsprechendes Vorbringen in einem bereits anhängigen Verfahren ersetzt werden. In diesem Fall entsteht dann ein Unterlassungsanspruch, wenn der Provider das beanstandete Verhalten fortsetzt oder das Vorliegen einer Rechtsverletzung bestreitet. Jedenfalls Letzteres liegt hier vor.

Der Kläger ist in den inkriminierten Postings auch ausreichend erkennbar. Für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen ist die Namensnennung nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn die Identifizierbarkeit nur für einige mit dem Betroffenen im Kontakt stehende Personen besteht. Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht in korrekturbedürftiger Weise abgewichen.

Bei der inhaltlichen Beurteilung der einzelnen Unterlassungsbegehren kam der OGH zu dem Ergebnis, dass die inkriminierten Inhalte teilweise das Familienleben des Klägers betreffen und folglich weder einer rechtfertigenden Interessenabwägung noch einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Die Bezeichnung des Klägers als „Bruchpilot, Hooligan-Rapper, der die Justiz getäuscht hätte, etc“ erfülle das Tatbild des § 1330 Abs 1 ABGB.

Access- und Host-Providern dürfe zwar keine allgemeine Überwachungspflicht hinsichtlich der von ihnen übermittelten oder gespeicherten fremden Inhalte auferlegt werden (zB von sich aus aktiv nach rechtswidrigen Inhalten suchen), die Anordnung zielgerichteter Überwachungsmaßnahmen der nationalen Behörden und Gerichte ist aber zulässig. Dazu gehören insbesondere die Unterlassungsanordnungen der Zivilgerichte. Diese können sich nicht nur auf den ursprünglichen rechtswidrigen Inhalt, sondern auch auf wortgleiche oder sinngleiche Inhalte beziehen. Sinngleiche Inhalte sind solche, die im Kern dem als rechtswidrig beurteilten Inhalt entsprechen. Die „Kern-Übereinstimmung“ muss sich dabei auf den ersten laienhaften Blick ergeben oder durch technische Mittel (zB eine Filtersoftware) feststellbar sein.

Der EuGH bejaht die grundsätzliche Zulässigkeit weltweiter Unterlassungsanordnungen und geht davon aus, dass die E-Commerce-RL grundsätzlich eine solche weltweite Wirkung intendiert. Anders als der urheberrechtliche Anspruch, so wie auch andere immaterialgüterrechtliche Ansprüche, die nicht weltumspannend ausgerichtet, sondern territorial begrenzt sind, ist der Schutz von Persönlichkeitsrechten grundsätzlich nicht territorial begrenzt.

Bei Ansprüchen wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten kann der gesamte (materielle und immaterielle) Schaden entweder am Sitz des Beklagten oder in dem Mitgliedstaat geltend gemacht werden, in dem sich der Mittelpunkt der Interessen des Klägers befindet. Demgegenüber kann an jedem Veröffentlichungsort nur der jeweilige Teilschaden geltend gemacht werden. Der Gerichtsstand für Deliktsklagen ist weit zu verstehen und umfasst nicht nur Ansprüche auf Schadenersatz, sondern auch Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. In einer Persönlichkeitsrechte betreffenden Rechtssache sprach der EuGH bereits aus, dass in Anbetracht der umfassenden Abrufbarkeit der auf einer Website veröffentlichten Angaben und Inhalte, ein auf die Richtigstellung bzw Entfernung dieser Inhalte gerichteter Antrag einheitlich und untrennbar ist und somit nur bei einem Gericht erhoben werden kann, das für die Entscheidung über einen Antrag auf Ersatz des gesamten Schadens zuständig ist, und nicht bei einem Gericht, das nicht über eine solche Zuständigkeit verfügt. Für einen Anspruch iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO, der weltweit geltend gemacht werden soll, ist demnach erforderlich, dass das angerufene Gericht über einen internationalen Zuständigkeitstatbestand verfügt, an dem der gesamte Schaden geltend gemacht werden kann. Dieses Kriterium war im vorliegenden Fall angesichts des Wohnsitzes des Klägers in Österreich und seiner Beschäftigung bei der inländischen Fluglinie erfüllt.

Die beklagte Partei wurde daher für schuldig erkannt, die weitere Verbreitung wort- und sinngleicher (im Urteil näher beschriebenen) Inhalte des Instagram-Accounts des Bruders mit weltweiter Wirkung zu unterlassen und/oder zu beseitigen.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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