OGH-Entscheidung vom 2.2.2022, 6 Ob 239/21x

 

Sachverhalt:

Der Kläger vollzog unter Anwendung von Körperkraft an einer Frau (Beklagte) gegen deren erklärten Willen den Beischlaf. Die Beklagte berichtete in weiterer Folge auf ihrer eigenen Facebook-Seite über die Vergewaltigung durch den Kläger. Dieser klagte daraufhin auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Der OGH gab dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.

Grundsätzlich gilt die Unschuldsvermutung, die zum einen Garantie für das Strafverfahren ist und zum anderen von allen staatlichen Behörden zu beachten ist. Sie kann auch durch Feststellungen im Urteil eines Zivilgerichts verletzt werden. Im Hinblick auf mediale Berichterstattung wurde § 7b MedienG zum Schutz von Tatverdächtigen vor einer Vorverurteilung in den Medien in das Gesetz eingefügt.

Der OGH kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte über ihre eigene Vergewaltigung berichtete, und ihr dies – unabhängig vom Umstand, dass derzeit keine strafgerichtliche Verurteilung des Klägers vorliegt – nicht verwehrt werden könne.

Der OGH schloss sich den Vorinstanzen an, die ihre Entscheidungen damit begründeten, dass an die Beurteilung der Äußerungen des Opfers einer Straftat nicht dieselben Maßstäbe anzulegen sind, wie an die Veröffentlichung von Vorwürfen in einem (dritten) Medium. Auch wenn die Facebook-Seite der Beklagten als Medium im Sinne des Mediengesetzes anzusehen wäre, könne im Rahmen der hier gebotenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Beklagten und den Rechten des Klägers das Posting auf der Facebook-Seite der Beklagten auch dann nicht beanstandet werden.

Diese Abwägung könne laut OGH aber in anderen Fällen anders ausfallen, etwa wenn das (Persönlichkeits-)Recht des Äußernden weniger stark beeinträchtigt ist, bei weniger schwerwiegenden Vorwürfen oder wenn die seit der Tat vergangene Zeit oder etwa ein allfälliges Resozialisierungsinteresse dazu führen, dass die namentliche Nennung des Täters auch dann unzulässig ist, wenn das Opfer selbst darüber berichtet.

Darüber hinaus wies der OGH darauf hin, dass die Beklagte im Hauptverfahren selbstverständlich die Beweislast für die Richtigkeit der von ihr erhobenen Behauptungen trifft. Im vorliegenden Fall erachtete das Erstgericht nach Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens (im Provisorialverfahren) die Behauptungen der Beklagten als zutreffend.

Das Erstgericht hielt ausdrücklich fest, dass der Vorwurf der sexuellen Gewalt und der Vergewaltigung eine Wertung zum Ausdruck bringe, wobei nicht vom strafrechtlichen Verständnis auszugehen sei. Gerade Durchschnittsadressaten würden unter Vergewaltigung ganz allgemein die Vornahme geschlechtlicher Handlungen an einer Person gegen deren Willen verstehen. Diese Tatsachenbehauptung beruhe jedoch auf einem wahren Tatsachensubstrat, weil der Kläger unter Anwendung von Körperkraft an der Beklagten gegen deren erklärten Willen den Beischlaf vollzogen habe.

 

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

Weitere Blog-Beiträge:

Nach rechtskräftiger Verurteilung eines Straftäters scheidet eine Wiederholung der Verletzung der Unschuldsvermutung denknotwendig aus

Berichte/Fotos im Online-Archiv einer Tageszeitung können trotz zulässiger Erstveröffentlichung berechtigte Interessen verletzen

Behauptung „abgesprochener“ Zeugenaussage ist ehrenrührig und kreditschädigend

Facebook-Posting über Obsorgestreit verletzt Persönlichkeitsrechte

EuGH zur Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über das Internet: Schadenersatz kann in jedem Mitgliedstaat (anteilig) eingeklagt werden, wo verletzender Inhalt zugänglich ist/war.

Betrugsvorwurf: Im Rahmen politischer Auseinandersetzung genügt ein „dünnes Tatsachensubstrat“

Postmortales Persönlichkeitsrecht: Identifizierung als Mordopfer in den Medien ist nicht mit Bloßstellung verbunden

Bildberichterstattung über „Ibiza-Anwalt“ ist im Interesse der Öffentlichkeit. (Durch eigene Handlungen Interesse an seiner Person bewirkt.)

Geheime Aufnahmen von Streitgesprächen