OGH-Entscheidung vom 17.2.2015, 4 Ob 187/14z

Sachverhalt:

In der Tageszeitung „Heute“ wurde über einen Mordprozess berichtet. Dabei wurde ein Foto des Beschuldigten (hier Kläger) veröffentlicht, das ihn im Gerichtssaal in Handschellen anlässlich seiner Vorführung durch zwei Exekutivbeamte zeigt. Der Kläger hat weder der Aufnahme des Fotos, noch dessen Veröffentlichung oder der Berichterstattung generell zugestimmt.

Bereits am Tag nach dem Erscheinen des beanstandeten Fotos mit Artikel wurde der Kläger freigesprochen. Eine Berichterstattung der Beklagten über diesen Freispruch erfolgte nicht.

Der Kläger brachte eine Klage auf Unterlassung, Zahlung von Schadenersatz und Urteilsveröffentlichung ein. Die Bildnisveröffentlichung sei rechtswidrig, eine Abwägung der Interessen des Klägers mit dem Veröffentlichungsinteresse gehe zu seinen Gunsten aus. Der Artikel samt Bild sei noch immer online abrufbar.

Die Beklagte wendete ein, der Bericht sei wahr und sie habe weder den Identitätsschutz des Klägers noch die Unschuldsvermutung verletzt.

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehren Folge. Das Berufungsgericht wiederum wies die Klage ab. Dem Kläger käme kein Identitätsschutz zu; es bestehe ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Letztlich sei die unterbliebene Folgeberichterstattung über den Freispruch irrelevant.

Der OGH gab der außerordentlichen Revision des Klägers Folge:

Durch § 78 UrhG soll jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit, also namentlich dagegen geschützt werden, dass er durch die Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt, dass dadurch sein Privatleben der Öffentlichkeit Preis gegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Missdeutungen Anlass geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt.

Treffen schutzwürdige Interessen des Abgebildeten auf ein Interesse an der Verbreitung des Bildes, dann müssen die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen werden. In solchen Fällen kann daher die Bildnisveröffentlichung nur durch ein im Rahmen eine Interessenabwägung gewonnenes höhergradiges Veröffentlichungsinteresse des Bildverbreiters gerechtfertigt sein.

Bei der Auslegung von § 78 UrhG sind die Wertungen des § 7a MedienG zu berücksichtigen. Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, kommt der Identitätsschutz nach § 7a MedienG demnach nur dann zu, wenn durch die Veröffentlichung ihr Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann. Fehlt diese Voraussetzung, dann ist nach § 7a Abs 1 MedienG – wegen des Zusammenhangs des (angeblichen) Verbrechens mit dem öffentlichen Leben – ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung des Bildes (und anderer Angaben zur Identität) gegeben.

Die berechtigten Interessen des Abgebildeten werden verletzt, wenn er auf erniedrigende Art abgebildet wird. Die Abbildung eines wegen Mordes Angeklagten in Handschellen muss nicht in diesem Sinn erniedrigend wirken, weil der Umstand, dass der Kläger mit Handfesseln abgebildet ist, nur den Schluss zulässt, dass das Foto noch vor Verhandlungsbeginn aufgenommen worden sein muss. Die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums als Ausfluss der freien Meinungsäußerung fällt bei einem im Kern wahren Sachverhalt gewöhnlich zugunsten des Mediums aus. Ein Bildbericht über einen erweislich wahren Sachverhalt ist auch dann zulässig, wenn er für den Betroffenen nachteilig, bloßstellend oder herabsetzend wirkt.

In die Interessenabwägung können nur Umstände einbezogen werden, die bereits im Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung vorgelegen sind. Ein der Bildnisveröffentlichung nachfolgender Freispruch des Betroffenen kann daher nicht berücksichtigt werden. Das Berufungsgericht hat daher mit Blick auf die beanstandete Veröffentlichung der Abbildung des Klägers im Printmedium der Beklagten zu Recht auf den Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung am zweiten Verhandlungstag abgestellt, als der Kläger des versuchten Mordes angeklagt und die Strafverhandlung darüber anhängig war, der Ausgang des Verfahrens aber noch nicht feststand. Insoweit ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Interessenabwägung, die zu einem Überwiegen des Veröffentlichungsinteresses führte, nicht zu beanstanden. Je größer der Tatverdacht, je spektakulärer die Tat, desto geringer der Schutz des Betroffenen.

Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt allerdings darin, dass die beanstandete Abbildung des Klägers auch in der Online-Ausgabe des Mediums der Beklagten veröffentlicht wurde und der Bericht im Online-Archiv der Beklagten weiter abrufbar gehalten wird.

Die bisherige Rechtsprechung des OGH im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Verfahrensausgang betraf lediglich den Zeitpunkt der ursprünglichen Berichterstattung, zu dem das Ergebnis des Verfahrens noch offen war und daher keine unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzung begründete. Im Anlassfall ist aber (auch) die Bereithaltung des seinerzeit berechtigterweise veröffentlichten Artikels samt Lichtbild im Internet zu beurteilen, welche als fortdauernde Veröffentlichung anzusehen ist, zumal für jedermann bis heute der Abruf möglich ist. Seit der Veröffentlichung im Printmedium haben sich die Umstände aber insoweit maßgeblich geändert, als der Kläger von dem Vorwurf des versuchten Mordes rechtskräftig freigesprochen wurde. Ein inzwischen unrichtig gewordener Eindruck wird somit aufrechterhalten, der dem historischen Sachverhalt nicht entspricht. Dies lässt sich auch nicht mit einem Veröffentlichungsinteresse der Beklagten rechtfertigen.

Es kann hier auch nicht von einem unzumutbaren Aufwand für die Beklagte ausgegangen werden, da ihr nicht auferlegt wird, auf unbestimmte Zeit laufend eine allfällige Rechtswidrigkeit durch geänderte Tatumstände zu überprüfen, sondern lediglich den zeitnahen Abschluss eines begonnenen Verfahrens zu beobachten.