OGH-Entscheidung vom 13.11.2013, 15 Os 11/13a (15 Os 12/13y)

Sachverhalt:

In einer Tageszeitung wurden im August und September 2010 Artikel über den Mord an einem „Callgirl“ veröffentlicht. Diese Artikel wurden mit einem Foto illustriert, auf dem das vermeintliche Mordopfer abgebildet war. Der Artikel war auch auf der Internetseite dieser Tageszeitung abrufbar. Bei der abgebildeten Frau handelte es sich jedoch nicht um besagtes Mordopfer, sondern um eine gleichnamige Studentin aus der Slowakei. Die Studentin beantragte daraufhin die Zahlung einer medienrechtlichen Entschädigung.

Verfahren erster und zweiter Instanz:

In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht nur den Tatbestand des § 6 Abs 1 MedienG (Üble Nachrede, Beschimpfung, Verspottung, Verleumdung), nicht jedoch jenen des § 7 Abs 1 MedienG (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs) als verwirklicht an, weil im Rahmen berufsmäßiger Prostitution die Sexualität nach außen getragen werde und solcherart der Privatsphäre entzogen sei.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragstellerin gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht nicht Folge. Zur Begründung führte es (ua) aus, die bloße Behauptung, jemand gehe der Prostitution nach, wäre nicht dem Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG zu unterstellen, weil Angelegenheiten des Geschäfts- oder Berufslebens nicht zum höchstpersönlichen Lebensbereich zählen. Prostitution sei durch landesgesetzliches Regelwerk mit Registrierung, Kontrolluntersuchungen, steuerrechtlicher Erfassung und Pflichtversicherung gesellschaftlich anerkannt als Beruf institutionalisiert worden. Die bloße Weitergabe der „Sachinformation“, jemand übe den Beruf der Prostitution aus, ohne dass gleichzeitig Details aus der Sexualpraxis ausgebreitet werden, sei nicht dem durch § 7 MedienG geschützten Bereich zuzuordnen.

Die Generalprokuratur erhob gegen diese Entscheidung des OLG Wien Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes.

Entscheidung des OGH:

Der OGH schloss sich der Ansicht der Generalprokuratur an:

Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung. Zum höchstpersönlichen Lebensbereich zählen jedenfalls das Leben in und mit der Familie, die Gesundheitssphäre und das Sexualleben. Das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Bloßstellung beschreibt die Gefahr einer mit dem medialen Eindringen in eine schutzwürdige Privatsphäre verbundenen Beschädigung der persönlichen Integrität. Bezogen auf das Schutzgut der Privatsphäre wirken insbesondere jene Erörterungen und Darstellungen bloßstellend, die dem Einzelnen die Chance auf Selbstbestimmung über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild nehmen.

Bei Angelegenheiten der intimsten Sphäre verletzt jede Informationsteilhabe durch Außenstehende per se die persönliche Integrität, weil sensible Informationen vor einer weder eingrenzbaren noch beherrschbaren Öffentlichkeit ausgebreitet werden. In solchen Fällen wirkt also bereits die mediale Indiskretion als solche bloßstellend und braucht eine weitere nachteilige Auswirkung nicht besonders nachgewiesen werden.

Unter Prostitution wird generell die Vornahme oder Duldung des Beischlafs und/oder anderer geschlechtlicher Handlungen gegen Entgelt verstanden. Unbeschadet eines bestehenden gesetzlichen Rahmens zur Prostitutionsausübung betrifft die Behauptung, eine Person gehe der Prostitution nach, somit nicht ausschließlich deren Berufs- sondern auch ihr Sexualleben. Häufig wird Prostitution unter einem gewissen Zwang oder Druck, aber auch heimlich oder – etwa zum Schutz der persönlichen Sicherheit und des Rufes – unter Verschleierung der wahren Identität (durch Verwendung eines Pseudonyms und/oder Veränderung der Erkennbarkeit) ausgeübt; vielfach lassen Betroffene sogar ihr engeres familiäres und soziales Umfeld im Dunkeln über ihre Tätigkeit. Aufgrund all dieser Umstände unterscheidet sich Prostitutionsausübung von anderem Geschäfts- oder Berufsleben, das im Allgemeinen nicht dem von § 7 Abs 1 MedienG geschützten Bereich zugeordnet wird.

Durch den wahrheitswidrigen Bericht, die Antragstellerin wäre der Prostitution nachgegangen, wurde daher der Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG verwirklicht.