OGH-Entscheidung vom 19.12.2023, 4 Ob 80/23b

 

Sachverhalt:

Der VKI klagte einen Mobilfunk- und Internetanbieter. Wie fast alle Internetserviceprovider verfügt die Beklagte über kein selbständiges Leitungsnetz bis zum Kunden, sondern bedient sich für den letzten Streckenabschnitt der Leitungen der ehemaligen Monopolistin, die in aller Regel aus Kupferkabeln bestehen. Einfluss auf die tatsächlich zur Verfügung stehende Bandbreite haben unter anderem Leitungslänge, -überlagerungen und -abnützung, Temperaturunterschiede sowie die Anzahl der an demselben Kabelverzweiger angeschlossenen Kunden.

Die Beklagte bewarb ihr Tarifmodell „PowerNet M“ auf ihrer Website wie folgt:

In der genaueren Produktbeschreibung unter verschiedenen Links fand man die Zusatzinformation, dass „angegebene Datentransfergeschwindigkeiten Maximalwerte darstellen. Die tatsächlich erreichte Geschwindigkeit hängt von Faktoren wie Nutzungsdichte, sowie baulichen, geographischen Gegebenheiten bzw. vom verwendeten Endgerät ab.“

Die Beklagte gab für ihr Tarifmodell „PowerNet M“ als „normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit“ 23.112 Kbit/s Download und 5.120 Kbit/s Upload an, was lediglich 57,78 % bzw 51,2 % der in der Werbung genannten Datenübertragungsgeschwindigkeit für Download bzw Upload entspricht.

Der VKI klagte auf Unterlassung. Die Beklagte verstoße gegen mehrere Bestimmungen des UWG.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Der OGH befand die Revision des Klägers für zulässig und berechtigt.

Auch der OGH war der Ansicht, dass die hier zu prüfende Werbung irreführend bleibt, auch wenn sie darauf hinweist, dass die beworbene Geschwindigkeit die Maximalgeschwindigkeit ist. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen, wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte.

Im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung richtet sich der Bedeutungsinhalt einer Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein aufmerksamer Durchschnittsadressat gewinnt. Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, weil der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, entscheidend geprägt werden kann. Blickfangartig herausgestellte Angaben dürfen auch für sich allein genommen nicht zur Irreführung geeignet sein und bedürfen eines deutlich wahrnehmbaren Hinweises, mit dem über die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen die Aussage gilt, ausreichend aufgeklärt wird.

Eine Information ist jedenfalls dann wesentlich, wenn der Durchschnittsverbraucher sie benötigt, um in der Folge eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können. Je zentraler bestimmte Produkteigenschaften in der Werbung herausgestrichen werden, desto notwendiger ist der Hinweis auf damit zwangsläufig verbundene Nachteile oder Einschränkungen.

Konstant hohe Datenübertragungsraten sind vor dem Hintergrund einer wachsenden Anzahl von mit dem Internet verbundenen Geräten pro Haushalt und der damit einhergehenden, steigenden Tendenz zur Nutzung digitaler Angebote oftmals ein entscheidender Faktor für die Funktionalität von Internetanwendungen. Insofern ist zu erwarten, dass eine Vielzahl von Kunden diesem Leistungsmerkmal wesentliche Beachtung zuwendet.

Auch im vorliegenden Fall stellte die Beklagte die Datentransfergeschwindigkeit als die definierende Eigenschaft ihrer Dienstleistung heraus. Die Tarifinformation selbst lässt nicht erkennen, dass die angegebene Geschwindigkeit nur ein Maximalwert ist. Der Kunde wird mangels gegenteiliger Hinweise damit rechnen, dass ihm diese Geschwindigkeit immer oder zumindest fast immer geboten werden wird. Auch ein bloßer Hinweis, dass es sich um eine Maximalgeschwindigkeit handelt, würde im vorliegenden Fall nicht ausreichen, die Irreführungseignung zu beseitigen.

„Bis-zu-Angaben“ können als irreführend eingestuft werden, wenn Gewerbetreibende nicht nachweisen können, dass die Verbraucher die zugesicherten maximalen Ergebnisse unter normalen Umständen erzielen.

Die Beklagte verpflichtet sich ihren Kunden gegenüber für 95 % der Zeit nur in etwa die Hälfte der beworbenen Geschwindigkeit zu bieten. Sie sagt die beworbene Geschwindigkeit daher nur für ein Zwanzigstel der Zeit zu. Dies gilt unterschiedslos für alle Kunden, selbst wenn an ihren konkreten Standorten technisch die Voraussetzungen für deutlich höhere Geschwindigkeiten vorlägen.

Die Werbung der Beklagten war daher irreführend.

 

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