OGH-Entscheidung vom 16.12.2021, 4 Ob 175/21w

 

Sachverhalt:

Die Streitteile sind im Handel mit Sportnahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln tätig. Die Klägerin erwarb im Rahmen eines Asset Deals sämtliche Vermögenswerte einer insolventen Gesellschaft aus dem Firmengeflecht der Beklagten. Die Beklagten machten dennoch Werbung mit Kundenbewertungen des – nunmehr von der Klägerin fortgeführten – Webshops der Insolvenzgesellschaft.

Die Klägerin beantragte daraufhin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung und klagte auf Unterlassung. Den Beklagten solle es verboten werden, mit Kundenbewertungen zu werben, wenn diese Bewertungen für ein anderes Unternehmen abgegeben wurden.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gaben dem Unterlassungsbegehren Folge. Der OGH wies den Revisionsrekurs der Beklagten zurück.

Für Online-Werbung gilt das Herkunftslandprinzip iSd § 20 Abs 1 ECG, wonach sich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats richten.

Das auf Ansprüche wegen irreführender Werbung im Internet anzuwendende Recht ist nach Art 6 Abs 1 Rom II-VO zu bestimmen. Danach ist das Recht jenes Staats anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Maßgebend ist daher, auf welchem Markt sich das beanstandete Verhalten auswirkt. Soweit das Herkunftslandprinzip anwendbar ist, darf die Anwendung dieses Rechts zu keinen strengeren Anforderungen führen, als sie im Recht jenes Staats vorgesehen sind, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist.

Im konkreten Fall, bei dem sich die Werbemaßnahmen auf den österreichischen Markt auswirken, ist zu beachten, dass die relevanten Normen beider Rechte (dem österreichischen und dem deutschen) auf einer gemeinsamen unionsrechtlichen Grundlage beruhen; und zwar der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG). Da diese Richtlinie nicht bloß Mindeststandards vorsieht, sondern das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht vollständig harmonisiert, war nicht anzunehmen, dass das deutsche Recht maßgeblich vom österreichischen Recht abweicht. Die Anwendung des österreichischen Rechts durch die Vorinstanzen wurde daher vom OGH nicht beanstandet.

Zur Irreführungseignung führte der OGH aus, dass für den Durchschnittsverbraucher die Anzahl der auf einer Bewertungsplattform für ein Unternehmen abgegebenen Bewertungen sowie der Bewertungszeitraum von maßgeblicher Bedeutung ist: Je mehr Bewertungen über einen längeren Zeitraum abgegeben wurden, desto aussagekräftiger ist das Bewertungsergebnis; außerdem wird dem Kunden durch einen längeren Bewertungszeitraum auch eine gewisse Stabilität des bewerteten Unternehmens vermittelt. Der durchschnittliche Verbraucher verlässt sich darauf, dass die zu einem Unternehmen gelisteten Bewertungen auch für dieses Unternehmen abgegeben wurden.

Die Bezugnahme der Beklagten in ihrer Eigenwerbung auf Kundenbewertungen der Insolvenzgesellschaft (deren Assets die Klägerin übernommen hat) war daher irreführend.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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