OGH-Entscheidung vom 10.12.2020, 4 Ob 108/20s

 

Sachverhalt:

Die Klägerin vertreibt Trinkgläser, insbesondere hochwertige Weingläser.

Die Erstbeklagte ist eine im Jahr 2019 in Berlin registrierte GmbH, die ebenfalls solche Gläser vertreibt, jedoch über keine eigene Werkstätte/Manufaktur oder Produktionsmittel verfügt. Sie hat die Bezeichnung „Josephinenhütte“ im Firmenwortlaut. Der Zweitbeklagte ist an der Erstbeklagten beteiligt. Er agiert als deren „front man“ und künstlerischer Leiter.

Josephinenhütte“ ist auch die Bezeichnung einer historischen Glashütte und Glasmanufaktur, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Schlesien (heute Polen) gegründet wurde. Sie steht zur Erstbeklagten in keiner Verbindung. Dennoch wirbt die Erstbeklagte auf ihrer Website mit „Wiederbeleben einer Tradition“, „Josephinenhütte – est. 1842“, „Die spannende Vergangenheit der Josephinenhütte – Unsere Geschichte“.

Die Klägerin klagte auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, da die Beklagten irreführend werben würden. Da sie über keine eigene Glaserzeugung verfügen, würden sie das Publikum durch eine Bezugnahme auf eine im Jahr 1842 in Schlesien gegründete Glashütte täuschen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erließ gegen beide Beklagten die beantragten einstweiligen Verfügungen. Das Rekursgericht wies das Sicherungsbegehren gegen den Zweitbeklagten ab. Gegenüber der Erstbeklagten änderte es den Wortlaut der Verfügung ab. Dagegen erhoben sowohl die Klägerin als auch die Erstbeklagte außerordentliche Revisionsrekurse an den OGH.

Den Revisionsrekurs der Erstbeklagten befand der OGH für unzulässig. Die Erstbeklagte hatte im Wesentlichen geltend gemacht, dass keine Irreführung bei Bezugnahme auf ein ehemaliges Unternehmen vorliege, dessen Geschäftswert (Goodwill) untergegangen sei. Die Josephinenhütte aus Schlesien sei in den 1950er Jahren in Huta Szkla Julia umbenannt worden, und seit der Umbenennung seien keine handgefertigten und mundgeblasenen Glaswaren unter der Bezeichnung Josephinenhütte hergestellt worden. Es sei daher ausgeschlossen, dass die beteiligten Verkehrskreise rund 70 Jahre später noch einen Zusammenhang zwischen der Bezeichnung Josephinenhütte und der ursprünglichen Glasmanufaktur herstellen.

Nach Ansicht des OGH war jedoch nicht entscheidend, ob der Geschäftswert des historischen Unternehmens Josephinenhütte noch besteht oder bereits untergegangen ist. Die beanstandete Irreführung beruht vielmehr darauf, dass sich die Erstbeklagte wahrheitswidrig einer langjährigen Tradition und einer unmittelbaren Anknüpfung an ein historisches Unternehmen berühmt. Nach der Rechtsprechung fällt das Vortäuschen einer langjährigen Tradition, aus der das Publikum besondere Erfahrungen, wirtschaftliche Leistungskraft, Qualität, Zuverlässigkeit, Solidität und eine langjährige Wertschätzung innerhalb des Kundenkreises ableitet, unter den Tatbestand der unlauteren Irreführung nach § 2 UWG. Die Vorinstanzen gaben dem Sicherungsbegehrens in diesem Punkt zurecht Folge.

Den Revisionsrekurs der Klägerin erachtete der OGH für zulässig und teilweise berechtigt. Die Klägerin hatte sich gegen die Abweisung der Begehren gerichtet, die sich gegen die generelle Verwendung der Bezeichnung „Josephinenhütte“ (losgelöst vom historischen Kontext) gerichtet hatten. Der OGH war hier der Ansicht, dass der Begriff „Josephinenhütte“ vom heutigen Durchschnittsverbraucher (alle Interessenten für Wein- und/oder Trinkgläser) in erster Linie als Phantasiebezeichnung, aber nicht als Bezeichnung einer bestehenden Glashütte aufgefasst wird. Die vom historischen Kontext losgelöste Verwendung des Kennzeichens im Zusammenhang mit Gläsern bewirkt daher keine Irreführung.

Betreffend den Vorwurf des Vortäuschens einer eigenen Glasproduktion oder Manufaktur kam der OGH zu dem Ergebnis, dass der Text auf der Website der Erstbeklagten (wonach jedes Glas in einer Vielzahl von Arbeitsschritten entsteht, die lange Erfahrung, Geschick und höchste Konzentration erfordern) in Kombination mit den dort abrufbaren Videos und Fotos für den Adressaten dieser Werbung den – unrichtigen – Eindruck entstehen lässt, dass die Erstbeklagte eine eigene Glasmanufaktur betreibe. Unrichtige Angaben über die Herstellung eines Produkts können eine zur Irreführung geeignete Angabe über die wesentlichen Merkmale des Produkts iSv § 2 Abs 1 Z 2 UWG idF der UWG-Novelle 2007 sein. Angaben, die bei einem nicht unerheblichen Teil der Verbraucher den falschen Eindruck erwecken, direkt vom Hersteller zu kaufen, verstoßen gegen den § 2 UWG. Entscheidend ist, dass der Kunde durch die Irreführung über die Bezugsquelle zum Kauf verlockt werden kann.

Im vorliegenden Fall fand der OGH, dass der Werbeauftritt der Erstbeklagten den unrichtigen Eindruck erweckt, die von ihr vertriebenen Wein- und/oder Trinkgläser stammten aus eigener Glasproduktion oder Manufaktur. Dies ist geeignet, die Kunden derart über die angebotenen Produkte zu täuschen, dass sie dazu veranlasst werden, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten (§ 2 UWG). Der OGH gab dem Revisionsrekurs der Klägerin daher teilweise Folge und modifizierte die einstweilige Verfügung in diesem Sinne.