OGH-Entscheidung vom 22.4.2022, 4 Ob 61/22g

 

Sachverhalt:

Die Streitparteien sind Medieninhaberinnen von Websites, die redaktionelle Inhalte und Anzeigen veröffentlichen. Die Beklagte veröffentlichte einen Beitrag mit der Überschrift:

„GROSSER ERFOLG: [Die Website der Beklagten] erreicht fast jeden dritten Österreicher“

Das deutlich kleinere Balkendiagramm darunter zeigte, dass die online Reichweite tatsächlich nur 27 % beträgt, also gut jeden vierten Österreicher erreicht.

Die Klägerin beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung und klagte u.a. auf Unterlassung.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen erließen die einstweilige Verfügung. Die Differenz zwischen 27 % und einem Drittel der Bevölkerung betrage über 6 Prozentpunkte bzw mehr als 500.000 Personen. Die Irreführung durch den Blickfang werde nicht durch den unauffälligeren Rest des Beitrags beseitigt.

Der OGH befand den Revisionsrekurs der Beklagten für unzulässig. Die Rechtsprechung unterscheide objektiv nachprüfbare Tatsachenbehauptungen einerseits und Werturteile als rein subjektive, unüberprüfbare Meinungsäußerungen andererseits. Da die Mathematik sowohl für die Umrechnung von Prozentangaben in Brüche als auch für Rundungen klare Regeln vorgibt, könne die Behauptung, dass bei einer Reichweite von 27 % jeder dritte Österreicher erreicht werde, objektiv überprüft werden. Unwahre Tatsachenbehauptungen seien auch nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Der Bedeutungsinhalt von Äußerungen richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt. Auch blickfangartig herausgestellte Teile der Ankündigung dürfen für sich allein nicht irreführend im Sinne des § 2 UWG sein. Ist dieser Teil irreführend, dann liegt ein Verstoß gegen § 2 UWG vor. Auch der OGH bejahte daher die Irreführungseignung der – hier zu beurteilenden – blickfangartigen Überschrift.

 

 

Link zur OGH-Entscheidung

 

 

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