OGH-Entscheidung vom 26.3.2019, 4 Ob 38/19w

 

Sachverhalt:

Die Streitteile sind Medieninhaber von Tageszeitungen, die sich im Wesentlichen an gleiche Kreise von Lesern und Anzeigekunden richten. Ende September 2018 bewarb die Beklagte ihre Tageszeitung dadurch, dass sie bei einer Veranstaltung in Wien auf Zeitungsaufstellern den Satz „Willkommen bei der neuen Nummer 1 in Wien, Österreich – oe24“ anbrachte. Weitere Informationen enthielt die Werbeaussage nicht; es wurde weder die Reichweite (Leserzahl) noch die verbreitete Auflage genannt.

Laut Zahlen der Media-Analyse und der Österreichischen Auflagenkontrolle (ÖAK) war diese Angabe objektiv unrichtig.

Die Klägerin begehrte, es der Beklagten zu verbieten, ihre Tageszeitung wörtlich und/oder sinngemäß als „Nummer 1 von Wien“ zu bezeichnen, sofern dies für deren Reichweite nicht zutrifft.

Die Beklagte entgegnete, dass es laut ÖAK in Wien derzeit kein Druckwerk gebe, dessen verbreitete Auflage höher sei als jene ihrer Tageszeitung. (Die ÖAK errechnet die verbreitete Auflage anhand der Druckauflage minus Restauflage minus Auslandsauflage.)

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das Rekursgericht erließ hingegen die beantragte einstweilige Verfügung mit dem Zusatz „ohne nähere Erklärung“.

Der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten zurück. Aus der Begründung:

Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Beklagte nach dem maßgebenden Gesamteindruck der beanstandeten Aussage eine Spitzenstellung insbesondere auch zur Reichweite (Leserzahl) in Anspruch nehme, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung.

Die Nachfrage nach einer Tageszeitung, die vor allem durch die Reichweite, aber auch durch die verbreitete Auflage ausgedrückt wird, ist eine nachprüfbare, auf Tatsachen basierende Eigenschaft.

Die Inanspruchnahme einer Spitzenstellung setzt voraus, dass das so beworbene Produkt tatsächlich über einen stetigen und erheblichen Vorsprung vor allen Mitbewerbern verfügt. Für den wirtschaftlichen Erfolg und die Werbewirksamkeit einer Zeitung kommt es auf die Reichweite (Leserzahl) und auf die verkaufte (verbreitete) Auflage an, wobei der Reichweite allerdings ein deutlich stärkeres Gewicht zukommt, weil die bloße Auflagezahl keinen aussagekräftigen Schluss auf die tatsächlich erreichten Personen zulässt.

Entspricht die beanstandete Behauptung zur Spitzenstellung nicht den Tatsachen, so liegt eine irreführende Geschäftspraktik vor. Die Irreführungseignung kann auch durch unvollständige Angaben herbeigeführt werden, wenn durch das Verschweigen wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen wird, der geeignet ist, die Adressaten der Werbung zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Dies gilt auch dann, wenn die beanstandete Aussage bei isolierter Betrachtung wahr ist.

Ein solcher Fall liegt hier vor: Nach dem bescheinigten Sachverhalt hat die Beklagte nicht darüber aufgeklärt, dass sie ihrer Spitzenstellungsbehauptung die von der ÖAK ermittelte verbreitete Auflage zugrunde gelegt hat.

Der OGH schloss sich daher der Beurteilung des Rekursgerichts an, wonach die Beklagte den Eindruck habe, die verbreitete Auflage sei das einzige oder zumindest wesentlichste Kriterium für den wirtschaftlichen Erfolg und für die Werbewirksamkeit einer Zeitung, weshalb die inkriminierte Aussage irreführend sei.