OGH-Entscheidung vom 18.6.2024, 6 Ob 120/23z
Sachverhalt:
Die Kläger betreiben eine Rechtsanwaltskanzlei. Die Beklagte betreibt die Internetsuchmaschine „Google“. Im Rahmen des Dienstes „Local Listings“ können registrierte Nutzer Bewertungen durch Vergabe von einem bis maximal fünf Sternen vornehmen und optional Kommentare posten. Für die Registrierung ist die Angabe eines Nutzernamens und einer E-Mail-Adresse erforderlich. Die beklagte Partei überprüft die Richtigkeit der eingegebenen Nutzerdaten nicht. Es ist somit möglich, unter einem Pseudonym aufzutreten.
Bei dem Unternehmenseintrag der Kläger findet sich eine 1-Stern-Bewertung eines Nutzers mit dem (pseudonymen) Nutzernamen „Shutdown“ ohne Textkommentar. Einen Eintrag einer Person mit dem Namen „Shutdown“ konnten die Kläger in ihrer Kanzleisoftware nicht finden. Der Aufforderung der Kläger zur Löschung der Bewertung des Nutzers „Shutdown“ kam die beklagte Partei nicht nach. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Nutzer „Shutdown“ Mandant der Kläger war oder ob er sonst in einer für eine Bewertung relevanten Weise mit den von den Klägern angebotenen Leistungen in Kontakt gekommen war.
Die Kläger begehrten, der Beklagten die Verbreitung dieser Bewertung zu untersagen.
Entscheidung:
Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH wies die Revision des Klägers zurück.
In seinem beruflichen Bereich muss sich der selbständig Tätige auf die Beobachtung seines Verhaltens durch die breitere Öffentlichkeit wegen der Wirkungen, die seine Tätigkeit für andere hat, und auf Kritik an seinen Leistungen einstellen. In diesem Bereich ist die Gefahr schlechter Bewertungen grundsätzlich hinzunehmen, weil jede Beurteilung inhaltsleer würde, wenn schlechte Bewertungen bereits per se beanstandet werden könnten. Mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch im Wege anonymer Bewertungen hat sich der OGH u.a. bereits in diesen Entscheidungen befasst: Lehrerbewertungs-App und Ärztebewertungsportal.
Betreffend Google-Bewertungen hat der OGH bereits die Auffassung gebilligt, dass darin enthaltene anonyme Sterne-Bewertungen, selbst wenn sie Kommentare enthalten, nicht in jedem Fall den Eindruck erwecken, der Äußernde sei Mandant des bewerteten Rechtsanwalts gewesen. Die (anonyme) Meinungsäußerung ist auch jenen Personen zuzugestehen, die sich bei anderer Gelegenheit als im Wege der Erteilung eines (eigenen) Mandats ein Bild vom bewerteten Rechtsanwalt als Dienstleister gemacht haben; siehe HIER in BLOG.
„Ein-Stern-Bewertungen“ sind rein subjektive, nicht überprüfbare Werturteile, die nur je nach der persönlichen Überzeugung des Bewertenden falsch oder richtig sein können und damit auch bloß die erkennbar subjektive Meinung des Äußernden wiedergeben. Beleidigungen iSd § 1330 Abs 1 ABGB sind durch bloße Punkte- oder Sternebewertungen von vornherein ausgeschlossen.
Sofern ihre objektive Richtigkeit überprüfbar ist, sind auch bewertende Einschätzungen Tatsachenbehauptungen gleichzusetzen. Der unrichtige Eindruck, der Beklagte sei ein Mandant der Kläger gewesen oder sei sonst in für eine Bewertung relevanter Weise mit den von den Klägern angebotenen Leistungen in Kontakt gekommen, ist in Verbindung mit der „Ein-Stern-Bewertung“ geeignet, potentielle Mandanten abschrecken und damit den Kredit der Kläger iSd § 1330 Abs 2 ABGB zu gefährden (siehe DIESE Entscheidung). An der Verbreitung unwahrer rufschädigender Tatsachenbehauptungen besteht kein von der Meinungsäußerungsfreiheit gedecktes Interesse.
Bereits das Erstgericht ging davon aus, dass die gegenständliche Bewertung von einem durchschnittlichen Erklärungsempfänger dahin verstanden werde, dass der Äußernde in Kontakt mit dem Angebot, der Leistung oder dem Kundenservice der Kläger gewesen sei. Dennoch bestünde kein Unterlassungsanspruch.
Bedient sich derjenige, der eine Persönlichkeitsrechtsverletzung begangen hat, hiezu der Dienste eines Vermittlers, so kann gemäß § 20 Abs 3 ABGB auch dieser auf Unterlassung und Beseitigung geklagt werden. Ein auf § 1330 Abs 2 ABGB gestützter Unterlassungsanspruch gegen den Vermittler setzt voraus, dass er unwahre Tatsachen verbreitet hat, deren sachlicher Kern nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (siehe etwa DIESE Entscheidung).
§ 20 Abs 3 ABGB sieht eine Abmahnung des Hostproviders als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung des Unterlassunganspruchs mit dem Zweck vor, die erforderliche Kenntnis des Providers von der rechtswidrigen Information herzustellen, um ihm die Möglichkeit zu geben, den Inhalt unverzüglich zu entfernen; reagiert der Diensteanbieter auf eine solche Mitteilung nicht, kann gerichtlich gegen ihn vorgegangen werden (siehe HIER im BLOG). Die Abmahnung nach § 20 Abs 3 ABGB kann durch entsprechendes Vorbringen in einem bereits anhängigen Prozess ersetzt werden, wodurch der Diensteanbieter Klarheit über die behauptete Rechtsverletzung erhält. In diesem Fall entsteht dann ein Unterlassungsanspruch, wenn der Provider das beanstandete Verhalten fortsetzt oder das Vorliegen einer Rechtsverletzung bestreitet. Der Unterlassungsanspruch besteht nur dann, wenn die Rechtsverletzung für den Provider ohne Notwendigkeit weiterer Nachforschungen offenkundig wird. Das Unterbleiben der Entfernung des beanstandeten Inhalts allein führt nicht zu einem Unterlassungsanspruch gegen den Vermittler. In allen Fällen ist erforderlich, dass die beanstandete Äußerung des unmittelbaren Täters eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach eine Nachforschungsobliegenheit der Beklagten als Providerin dahin, ob der Bewertende Mandant der Kläger gewesen oder in einer für eine Bewertung relevanten Weise mit den von den Klägern angebotenen Leistungen in Kontakt gekommen sei, bestehe trotz erfolgter Abmahnung durch die Kläger nicht, entspricht der Judikatur.
Im vorliegenden Fall war diese Frage aber nicht entscheidungswesentlich, weil die Unwahrheit des behaupteten Tatsachenkerns der Äußerung des Bewertenden nicht feststeht und aufgrund der vom Berufungsgericht angewendeten Beweislastregeln bereits deshalb eine Unterlassungspflicht nach § 1330 Abs 2 ABGB nicht besteht.
Denn wenn die behauptete Rufschädigung – wie hier – nicht gleichzeitig auch eine Ehrenbeleidigung umfasst, trifft den Kläger nach allgemeinen Regeln die Beweislast, das heißt, er hat die Tatsachenverbreitung und deren Ursächlichkeit für die Gefährdung oder Verletzung zu beweisen und darüber hinaus auch die Tatsachenunrichtigkeit.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, es lägen betreffend die strittige Tatsache, ob der Bewertende tatsächlich Mandant der Kläger gewesen oder mit diesen in einem für die Bewertung relevanten Kontakt gestanden sei, weder die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr noch für eine Ermittlungspflicht der Beklagten vor. Es handle sich um keine Tatfrage, die allein in der Sphäre der Beklagten läge und nur ihr bekannt sei. Die Beklagte verfüge nach den Feststellungen selbst nicht über den Klarnamen des Nutzers. Für die Registrierung sei lediglich die Angabe des (pseudonymen) Nutzernamens und einer E-Mail-Adresse erforderlich, wobei bekanntlich auch anonyme E-Mail-Adressen verwendet werden können, die de facto nicht unbedingt erreichbar seien. Der Beklagten wäre es daher kaum oder nur mit größtem Aufwand möglich gewesen, verlässlich zu ermitteln, ob der Bewerter tatsächlich Mandant der Kläger war bzw mit diesen in einem für die Bewertung relevanten Kontakt stand. Nach den Feststellungen hatte die Beklagte keine Kenntnis über die strittigen Tatsachen.
Nach deutscher Rechtslage wird bei Beanstandungen von in Bewertungsplattformen enthaltenen kreditschädigenden Bewertungen eine Prüfpflicht des Providers im Sinne einer Ermittlung und Beurteilung des gesamten Sachverhalts angenommen wird, deren Verletzung Voraussetzung für eine Haftung des Providers als mittelbarer Störer ist (siehe DIESE BGH-Entscheidung). Auch nach dieser Rechtsprechung folgt der Unterlassungsanspruch jedoch nicht bereits aus der bloßen Verletzung dieser Nachforschungspflicht des Providers, sondern es ist erforderlich, dass dem beanstandeten Werturteil die Tatsachengrundlage fehlt. Die diesbezügliche Beweislast, etwa für das Fehlen eines für die Bewertung relevanten Kontakts mit dem Bewertenden, trifft den Kläger. Allerdings wird eine „sekundäre“ Darlegungslast des beklagten Providers in Form einer Auskunfts- und Nachforschungspflicht angenommen, deren Verletzung dazu führt, dass die Behauptung des Klägers, der von ihm beanstandeten Bewertung liege kein relevanter Kundenkontakt zugrunde, prozessual als zugestanden gilt.
Link zur Entscheidung
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