OGH-Entscheidung vom 2.2.2022, 6 Ob 129/21w

 

Sachverhalt:

Auf der Lehrerbewertungs-App der Beklagten können Schüler*innen Schulen und Lehrer*innen bewerten, wobei sie 1-5 Sterne in mehreren Kategorien vergeben können (Unterricht, Fairness, Respekt, Motivationsfähigkeit, Geduld, Vorbereitung, Durchsetzungsfähigkeit und Pünktlichkeit). Die Durchschnittsbewertungen werden für alle sichtbar angezeigt. Für die Registrierung bei der App ist es nicht erforderlich den eigenen Namen anzugeben, jedoch eine Mobiltelefonnummer.  Nach Installation der App müssen die Nutzer eine Schule auswählen. Es können nur die ausgewählte Schule und deren Lehrer bewertet werden. Ein Wechsel der Schule in der App ist zwar möglich, jedoch mit einer Löschung aller Bewertungen der alten Schule verbunden. Eine Überprüfung, ob ein Nutzer tatsächlich die ausgewählte Schule besucht oder von den bewerteten Lehrern unterrichtet wird, erfolgt aber nicht.

Nach der Veröffentlichung der App 2019 leitete die Datenschutzbehörde von Amts wegen ein Prüfungsverfahren ein, das ohne Erlassung eines Bescheids eingestellt wurde.

Der Kläger ist Lehrer an einer HTL. In der App ist er mit seinem vollständigen Namen und akademischen Graden angeführt. App-Nutzer können eine Bewertung seiner Tätigkeit als Lehrer vornehmen. Darin sah der Kläger eine Datenschutzrechtsverletzung und klagte u.a auf Unterlassung und Löschung (seines Namens und seiner Bewertung).

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren hingegen teilweise Folge. Der OGH hielt die dagegen gerichtete Revision der Beklagten jedoch für zulässig und berechtigt und befand die Datenverarbeitung (Bewertung und Veröffentlichung) für zulässig.

Zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung hielt der OGH zunächst fest, dass der Name des Klägers, sein akademischer Grad und die ihn betreffenden Bewertungen personenbezogene Daten iSd Art 4 Z 1 DSGVO sind. Indem die Beklagte diese Daten erhebt, erfasst, ordnet, speichert und den Nutzern des Portals gegenüber offenlegt, verarbeitet sie die Daten iSd Art 4 Nr 2 DSGVO. Art 6 DSGVO regelt jene Tatbestände, die eine Verarbeitung von Daten rechtfertigen. Nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig:

  • Erstens muss von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von einem Dritten (hier den Nutzern der App) ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden,
  • zweitens muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein und
  • drittens dürfen die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen.

Das Interesse an der Datenverarbeitung ist weit zu verstehen. In Betracht kommen rechtliche, wirtschaftliche und ideelle Interessen. Ein berechtigtes Interesse zur Datenverarbeitung kann sich aus der Wahrnehmung des Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit ergeben.

Die Beklagten sahen ein berechtigtes Interesse zur Datenverarbeitung darin, dass Schülern eine Möglichkeit zur Bewertung ihrer Lehrer gegeben wird und dadurch verstärkte Transparenz im Bereich der Bildung erreicht wird. Der Kläger sah darin kein legitimes Interesse, weil Schüler sich ihre Lehrer nicht aussuchen könnten und weil die Beklagten mit der App in Wahrheit kommerzielle Interessen verfolgten.

Der OGH war grundsätzlich der Ansicht, dass die App einem legitimen Informationsinteresse der bewertenden Schüler sowie der Betrachter dient. In einer demokratischen Gesellschaft muss Betroffenen auch dort, wo sie keine oder nur eine mittelbare Auswahlentscheidung treffen können, die Möglichkeit offenstehen, Kritik an den handelnden Personen zu äußern und in Erfahrung zu bringen. Der von der Rechtsordnung gebilligte Zweck liegt hier daher darin, in einer Situation, in der eine unmittelbare Auswahl ausscheidet, dennoch eine Auseinandersetzung mit der Unterrichtsqualität einzelner Lehrer im Weg von subjektiven Einschätzungen zu ermöglichen.

Die Frage, ob die konkrete Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen erforderlich ist, bejahte der OGH. Es besteht ein legitimes Interesse daran zu erfahren, wie die Unterrichtsqualität individueller Lehrer von ihren Schüler*innen bewertet wird. Die namentlich zugeordneten Bewertungen sind daher zur Erreichung der legitimen Informationsziele geeignet.

Der OGH nahm eine Interessenabwägung zwischen den Grundrechten des Klägers auf Datenschutz, Privatsphäre, Anonymität, Ehre und guten Ruf einerseits und dem Grundrecht auf Meinungsäußerung und Informationsfreiheit der Beklagten und der App-Nutzer andererseits vor. Der OGH hob dabei hervor, dass bei der Berufsausübung ein geringerer Schutz besteht als bei der Privatsphäre.

Bei seiner Entscheidung nahm der OGH das Missbrauchspotential der Bewertungs-App in Kauf. Beispielsweise wäre es möglich, Bewertungen abzugeben, ohne die Schulen oder Lehrer*innen zu kennen. Nur eine namentliche Registrierung der Nutzer könne dies verhindern. Allerdings würde eine namentliche Registrierung die Meinungsäußerungsfreiheit der Schüler*innen einschränken. Rechtlich relevante Gründe dafür, Bewertungen der Unterrichtsqualität des Klägers durch seine eigenen Schüler zu untersagen, liegen nicht vor.

Da die Interessen der Nutzer an ihrer Meinungsäußerungsfreiheit aus Sicht des OGH überwiegen, kam der OGH zu dem Ergebnis, dass die App zulässig ist.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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