OGH-Entscheidung vom 22.8.2019, 4 Ob 53/19a

 

Sachverhalt:

Die Klägerin ist Medieninhaberin einer Gratiszeitung und einer Nachrichten-Website. Auf dieser Website wurde ein Artikel mit Lichtbild veröffentlicht, an dem ihr das ausschließliche Verwertungsrecht eingeräumt wurde. Das Foto zeigte eine Frau auf einem Fahrrad, während der Artikel darüber berichtete, dass die abgebildete Frau aufgrund eines „harmlosen Verkehrsdelikts“ eine hohe Strafe zahlen musste. Dass es sich bei der abgebildeten Frau um die eigene Chefredakteurin handelte, war dem Artikel jedoch nicht zu entnehmen.

Die Beklagte ist ebenfalls Medieninhaberin einer Nachrichten-Website. Sie berichtete unter Verwendung desselben Fotos über die Berichterstattung der Klägerin; insbesondere hob sie hervor, dass die Klägerin den Umstand verschwiegen hatte, dass über die Chefredakteurin der Klägerin berichtet wurde.

Die Klägerin begehrte wegen der zustimmungslosen Verwertung des Fotos vor Gericht die Unterlassung und Zahlung von Schadenersatz.

 

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren im Wesentlichen statt. Der OGH befand die außerordentliche Revision der Beklagten jedoch für zulässig und berechtigt. Aus der Begründung:

Der OGH bekräftigte zunächst seine jüngere Rechtsprechung zu § 42c UrhG (Berichterstattung über Tagesereignisse), wonach die freie Werknutzung nur für andere Werke gilt, die im Rahmen der Berichterstattung über ein Tagesereignis öffentlich wahrnehmbar werden. Damit würde das Gesetz der Tatsache Rechnung tragen, dass eine tagesaktuelle (Bild-)Berichterstattung die Wiedergabe dabei wahrnehmbarer Werke in der Regel nicht vermeiden kann. Das Werk als solches dürfe aber nicht allein Gegenstand des Tagesereignisses sein. Die Analyse der Berichterstattung eines Konkurrenzmediums sei keine Berichterstattung über ein Tagesereignis.

Auch älterer Rechtsprechung zu § 42f UrhG (Zitate) zufolge, muss ein Bildzitat Zitat- und Belegfunktion haben und darf nicht nur der Illustration dienen, um beim Leser bzw Zuseher Aufmerksamkeit zu erheischen. Die bloße Befriedigung von Neugierde oder Sensationslust rechtfertigt keinen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit iSd Art 10 MRK. Ferner ist auch immer zu fragen, ob sich der Zitatzweck nicht auch anders (etwa durch Einholung der Einwilligung des Rechteinhabers) oder durch Darstellung des Schutzgegenstands mit eigenen Worten erreichen lässt.

Bezogen auf den streitgegenständlichen Artikel kam der OGH zu dem Ergebnis, dass der Artikel in den Schutzbereich des Art 10 MRK fällt. Er stellt eine legitime Kritik an einem Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt der Klägerin (Verletzung des journalistischen Transparenzgebots) dar. Gerade in der kritischen Berichterstattung liegt aber die wesentliche Funktion der Presse in einer demokratischen Gesellschaft. Die Veröffentlichung habe nicht nur das Ziel verfolgt, die dem Werk selbst entgegengebrachte Aufmerksamkeit auszunutzen. Denn das Bild zeigt für den nicht informierten Betrachter bloß eine unbekannte Frau auf einem Fahrrad, die bei Rotlicht auf einem Zebrastreifen steht. Ein relevantes Interesse der Leser entsteht erst durch die zusätzliche Information, dass es sich bei der Radfahrerin um die Chefredakteurin der Klägerin handelt. Ebenso wenig wird der wirtschaftliche Wert des zitierten Werks in einer ins Gewicht fallenden Weise ausgehöhlt.

Das strittige Lichtbild erfüllt damit Zitat- und Belegfunktion. Kern der Kritik der Beklagten war die fehlende Offenlegung des Umstands, dass die von der Polizei bestrafte Radfahrerin Chefredakteurin der Klägerin ist; das Lichtbild belegt dies. Eine Beschreibung mit Worten kann diesem Zweck nicht im selben Ausmaß gerecht werden, weil erst durch das Lichtbild aus einer bloßen Behauptung (die der Leser glauben kann oder nicht) eine bewiesene Tatsache wird. Damit erfüllt sein Einsatz nicht nur Beleg-, sondern auch Beweisfunktion.

Der OGH gab der Revision der Beklagten daher Folge und wies das Unterlassungsbegehren ab.