OGH-Entscheidung vom 19.12.2019, 4 Ob 171/19d

 

Sachverhalt:

Der Kläger ist Inhaber einer Apotheke. Der Beklagte vertreibt Nahrungsergänzungsmittel. Seine Produkte sind in Österreich über Internetshops und bei niedergelassenen Händlern erhältlich. Der Beklagte hält überdies Vorträge, in denen er eine sehr kritische Haltung zur Pharmaindustrie einnimmt. Dabei behauptet er ua, dass Apotheken Gift und Mittel verkaufen, die zum Tod führen. Seiner Ansicht nach sollen Apotheken aufhören Menschen zu töten. Bei seinen Äußerungen berief er sich im Wesentlichen auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung.

Der Apothekeninhaber klagte auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Der OGH wies die außerordentliche Revision des Beklagten zurück.

Tatsachen iSd § 1330 Abs 2 ABGB sind Umstände, die ihrer allgemeinen Natur nach objektiv überprüfbar sind. Die Meinungsäußerungsfreiheit schützt grundsätzlich keine unwahren Tatsachenbehauptungen.

Apotheken geben (in medizinisch indizierten Dosierungen) zwar auch Gifte ab, daraus ergebe sich jedoch nicht die Wahrheit der Behauptungen des Beklagten. Es sei allgemein bekannt, dass Arzneidrogen in medizinisch indizierten Dosen heilsam, in Überdosen jedoch giftig wirken können, und dass es die Aufgabe von Apotheken ist, Medikamente nach ärztlicher Verordnung in heilsamen Dosen abzugeben. Dies ignoriere der Beklagte gänzlich, wenn er in den beanstandeten Appellen Apotheken pauschal auffordert, aufzuhören Gift zu verkaufen und Menschen zu töten.

Welchen Eindruck eine Ankündigung auf den Durchschnittsleser vermittelt, ist eine Rechtsfrage, die nach objektiven Maßstäben zu lösen ist. Maßgeblich ist die Verkehrsauffassung, nämlich der Eindruck, der sich auch bei nur flüchtigem Lesen für den Durchschnittsinteressenten ergibt.

Die gegenständlichen Äußerungen können deshalb als Tatsachenbehauptung gewertet werden, weil objektiv überprüfbar sei, ob Apotheken Gift verkaufen und damit Menschen töten, oder aber medizinisch indizierte Dosierungen von Arzneidrogen als Heilmittel abgeben.

Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung müsse auf das Recht der freien Meinungsäußerung Bedacht genommen werden. Dieses Recht umfasst auch, jene Ideen auszusprechen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Nimmt ein Mitbewerber – wenngleich in Wettbewerbsabsicht – an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betrifft, so hat die Freiheit der Meinungsäußerung bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung seiner Aussagen ein höheres Gewicht als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen. Dennoch gab der OGH dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge. Denn obwohl der Beklagte an einer öffentlichen Debatte teilgenommen hat, verfolgte er primär wirtschaftliche Eigeninteressen. Liegt eine Werbung primär im Eigeninteresse des Werbenden und nicht im Informationsinteresse der Öffentlichkeit, kommt der Meinungsäußerungsfreiheit ein geringeres Gewicht zu. Nach der Rechtsprechung zu Art 10 MRK darf kommerzielle Werbung schärferen Einschränkungen unterworfen werden als (zum Beispiel) der Ausdruck politischer Ideen. Die Wettbewerbsabsicht war im vorliegenden Fall zu vermuten, da der Beklagte Nahrungsergänzungsmittel verkauft, und es ihm darum ging, Kunden dazu zu bringen, weniger Medikamenten zu kaufen, sondern mehr Produkte die er selbst vertreibt.