OGH-Entscheidung vom 18.4.2023, 6 Ob 46/23t

 

Sachverhalt:

Der Kläger ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Liechtenstein und Wohnsitz in Österreich. Er nutzt ein Google-Unternehmensprofil, in dessen Rahmen auch Bewertungen (1-5 Sterne sowie optionalem Kommentar) von registrierten Nutzern zugelassen sind. Über den Kläger wurden dort sieben Rezensionen abgegeben. Der Kläger strebte mit der Klage die Löschung von zwei „Ein-Stern-Bewertungen“ an, und zwar eine mit der abgegebenen Bemerkung „Kritisch: Professionalität“ und einer mit dem Text: „Ich kann jedem nur den Rat geben, sich die Person [des Klägers] einmal genauer anzuschauen, bevor man hier ein Mandat erteilt. Einfach einmal nach Herrn [XXX] googeln“.

Der Kläger beantragte auch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestützt auf §§ 16, 20 und 1330 ABGB, Art 17 DSGVO.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen den Sicherungsantrag ab. Auch der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs des Klägers ab.

Der Kläger machte geltend, dass sog. „Doxing“ vorlag. „Doxing“ ist ein aus den Wörtern „dox” (für „documents”) und „dropping” zusammengesetzter Begriff, der die gezielte Recherche nach personenbezogenen Daten und deren zustimmungslose Verbreitung im Internet bedeutet. Dazu überprüfbare Tatsachen waren im Sicherungsantrag des Klägers jedoch nicht enthalten. Der Kläger stellte sich durch die Nutzung des von der Beklagten als Host-Provider betriebenen Dienstes vielmehr selbst als Unternehmer der Bewertung durch andere. Weder nahmen die Vorinstanzen folglich „Doxing“ als bescheinigt an, noch konnte der Kläger bescheinigen, dass er die Beklagte vor Klagsführung aufgefordert hatte, die Bewertungen zu löschen.

Die beiden „Ein-Stern-Bewertungen“ sind rein subjektive, nicht überprüfbare Werturteile, die nur je nach der persönlichen Überzeugung des Bewertenden falsch oder richtig sein können und damit auch bloß die erkennbar subjektive Meinung des Äußernden wiedergeben. Allenfalls kann Professionalität zwar im Kernbereich Fachkenntnisse widerspiegeln; dazu kann aber schlicht auch das äußere Auftreten, Benehmen, und dergleichen zählen.

Der OGH hat bereits mehrfach geäußert, dass der Schutz der Persönlichkeitsrechte nicht überspannt werden darf, weil dies zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde. Mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch im Wege anonymer Bewertungen hat sich der OGH bereits eingehend befasst (siehe zb HIER und HIER im Blog).

Zum Argument des Klägers, wonach die Bewertungen gegen die Nutzungsbedingungen der Beklagten verstoßen würden, weil sie „nicht auf tatsächlichen Erfahrungen basierten“ und beide Bewertenden keine Mandanten von ihm gewesen seien, führte das Rekursgericht aus, dass nicht nur Mandanten Bewertungen abgeben dürften und dieser Eindruck in den Bewertungen auch nicht erweckt wurde. Bewertungen durch Personen, die nicht Mandanten (gewesen) seien, seien im Sinne des Schutzes der verfassungs- und europarechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht unzulässig.

Zur Verpflichtung nach § 16 Abs 1 Z 2 ECG hat der OGH bereits erläutert, dass ein Host-Provider verpflichtet ist, Beiträge offensichtlich rechtswidrigen Inhalts zu entfernen, wenn die Rechtsverletzung auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig ist. Im vorliegenden Fall musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass die Bewertungen offenkundig rechtswidrig sind. Es hätte es überdies für eine erfolgreiche Inanspruchnahme eines Host-Providers gestützt auf § 20 ABGB (nach dessen Abs 3 Satz 2) einer klaren Abmahnung vor der Klage bedurft.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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