BGH-Urteil vom 28. September 2022 – VIII ZR 319/20

 

Sachverhalt:

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 € brutto. Davon entfielen 4,90 € auf Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der AGB von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise: 

„§ 8 Bewertungen […] Nutzer sind verpflichtet, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. […]“.

Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut, Versandkosten Wucher!!„. Die Klägerin begehrte vor Gericht die Entfernung dieser Bewertung und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

 

Entscheidung:

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil jedoch ab und verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Der Beklagte habe eine nachvertragliche Nebenpflicht verletzt. Die Bewertung verstoße zudem gegen das Sachlichkeitsgebot aus § 8 der eBay-AGB. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ handele es sich um eine überspitzte Beurteilung ohne sachlichen Bezug, die nicht gerechtfertigt sei, weil für einen objektiven Leser nicht erkennbar sei, warum sich die Versandkosten aus Sicht des Käufers als „Wucher“ darstellten.

Die Revision des Beklagten hatte jedoch Erfolg. Der deutsche BGH entschied, dass der Klägerin kein Anspruch auf Entfernung der Bewertung zusteht.

Anders als das Berufungsgericht es gesehen hatte, befand der BGH, dass die Regelung des § 8 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren enthält. 

Die Grenze zur Schmähkritik sah der BGH durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.

Aus Sicht des BGH fehlte dies im vorliegenden Fall. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hänge nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist.

 

 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 28.9.2022

Link zum Entscheidungstext

 

 

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