OGH-Entscheidung vom 29.8.2022, 6 Ob 198/21t

 

Sachverhalt:

Eine Ärztin und die Ärztekammer klagten gemeinsam die Betreiber eines Internetportals zur Ärztebewertung, auf dem Nutzer ein Ärzteverzeichnis auffinden sowie dort aufgelistete Ärzte durch Vergabe von null bis fünf Punkten bewerten und Erfahrungsberichte schreiben können. Nutzer müssen sich damit mit einem frei wählbarem Benutzernamen, E-Mail-Adresse und Geburtsdatum sowie der Zustimmung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten registrieren.

Es besteht für jeden Arzt die Möglichkeit, Bewertungen zu melden und eine Beschwerde mittels E-Mail oder Kontaktformular an die Beklagte zu richten. Die Beklagte überprüft und entscheidet dann intern, ob diese Bewertung gelöscht wird oder nicht. Die Beklagte gibt dem bewerteten Arzt auch die Nutzerdaten des Bewerters heraus, falls sie dies für rechtlich zulässig erachtet.

Die Klägerinnen begehrten vor Gericht die Löschung der veröffentlichten Daten sowie der damit verknüpften Bewertungen und Erfahrungsberichte sowie die Unterlassung einer erneuten Aufnahme und Verarbeitung der Daten.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch der OGH befand die Revision der Klägerinnen für unberechtigt:

Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Erstklägerin durch die Beklagte ist gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO rechtmäßig. Demnach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig:

  • Erstens muss von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen (Portalbetreiber) oder von einem Dritten (Nutzern des Portals) ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden,
  • zweitens muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein und
  • drittens dürfen die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, nicht überwiegen (siehe auch DIESE oder DIESE Entscheidung).

Das Interesse an der Datenverarbeitung ist weit zu verstehen. In Betracht kommen rechtliche, wirtschaftliche und ideelle Interessen (vgl. die OGH-Entscheidung zur Lehrerapp „Lernsieg“). Mit der gegenständlichen Datenverarbeitung nimmt die Beklagte sowohl eigene berechtigte Interessen als auch berechtigte Interessen der Nutzer ihres Portals wahr:

Die Beklagte verschafft der Öffentlichkeit einen geordneten Überblick darüber, von wem und wo welche ärztlichen Leistungen angeboten werden. Mit der Veröffentlichung von Bewertungen vermittelt sie darüber hinaus einen Einblick in persönliche Erfahrungen von Patienten. Die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten der Klägerin ist zur Verwirklichung der berechtigten Interessen der Beklagten und ihrer Nutzer erforderlich. Denn ohne hinreichende Identifizierbarkeit der Ärzte wäre ein solches Portal weder in der Lage, den Portalnutzern einen Überblick zu verschaffen, noch, diese von den Nutzern des Portals bewerten zu lassen. Die sich auf Namen, berufsbezogene Informationen und abgegebene Bewertungen beschränkende Darstellung auf den Basis-Profilen erfüllt diesen Zweck und geht über das insoweit unbedingt Notwendige nicht hinaus.

Auch die Missbrauchsmöglichkeit, etwa im Wege von Bewertungen durch Personen, die gar keine Patienten des betroffenen Arztes waren, steht diesem Befund nicht entgegen. Die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der klagenden Ärztin überwiegen die von der Beklagten mit dem Portalbetrieb wahrgenommenen berechtigten Interessen nicht. Die Öffentlichkeit hat ganz erhebliches Interesse an den im Portal der Beklagten angebotenen Informationen und Möglichkeiten. Das Portal der Beklagten kann dazu beitragen, Patienten erforderliche Informationen bei der Ausübung der Arztwahl zur Verfügung zu stellen, und ist grundsätzlich geeignet, zu mehr Leistungstransparenz im Gesundheitswesen beizutragen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt kein Recht, in der Öffentlichkeit so dargestellt zu werden, wie es dem eigenen Selbstbild und der beabsichtigten öffentlichen Wirkung entspricht (siehe u.a. DIESE Entscheidung).

Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass das Portal der Beklagten dazu missbraucht wird, kreditschädigende oder beleidigende Aussagen bezüglich eines Arztes zu verbreiten. Ob diese Missbrauchsmöglichkeiten die Datenverarbeitung unzulässig machen, hängt davon ab, wie intensiv die zur Missbrauchsverhinderung denkbaren Maßnahmen sämtliche in die Interessenabwägung einzubeziehenden Grundrechte einschränken. Die Möglichkeit anonymer Meinungsäußerung im Internet darf dennoch nicht schlechthin unterbunden werden, sondern es hat eine Interessenabwägung stattzufinden. Das bedeutet, dass Personen, die von missbräuchlichen Bewertungen betroffen sind, einen derartigen Missbrauch bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen haben. Eine Authentifizierung der Nutzer würde die Bereitschaft zur Vornahme von Bewertungen – insbesondere kritischer – herabsetzen. Wesentlich ist auch, dass die Bewertung allein die berufliche Tätigkeit der klagenden Ärztin betrifft, die nur einen geringeren Schutz beanspruchen kann als die Privatsphäre. Für die passiven Nutzer des Portals ist zudem klar ersichtlich, dass in die Gesamtbeurteilung eines Arztes die subjektiven Einschätzungen mehrerer Personen eingeflossen sind. Sie werden den jeweiligen Punkte-Angaben daher nur die Bedeutung beimessen, eine Tendenz bzw eine gemittelte Stimmungslage widerzuspiegeln.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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