OGH-Entscheidung vom 27.11.2019, 6 Ob 150/19f

 

Sachverhalt:

Der Kläger lebt mit seiner Familie in einer Erdgeschosswohnung. Der Beklagte lebt in der angrenzenden Erdgeschosswohnung. Beiden Wohnungen sind Gärten zugeordnet, die ebenso aneinandergrenzen. Vor diesen Gärten führt ein allgemeiner Zugangsweg (ausschließlich) zu den Gärten der Streitteile vorbei.

Der Beklagte montierte im Bereich der Außenfassade seiner Wohnung eine Überwachungskamera. Dem Beklagten ist es damit möglich, jederzeit Aufnahmen zu erstellen. Die Kamera ist über eine App steuerbar und auch in der Nacht mittels Infrarot funktionsfähig. Der Schwenkbereich der Kamera umfasst den Garten des Beklagten. Auch der Zugangsweg kann gefilmt werden. Während der Boden des Gartens des Klägers nicht erfassbar ist, kann ein kleiner Bereich des Gartens des Klägers gesehen werden. Die Kamera wird vom Beklagten zur Echtzeitüberwachung verwendet. Eine Aufzeichnung erfolgt nachts, wobei die Kamera so eingestellt ist, dass ausschließlich die Terrasse und der Bodenbereich des Gartens des Beklagten gefilmt werden.

Der Kläger begehrte vor Gericht die Entfernung dieser Überwachungskamera. Mit der Überwachungskamera werde insbesondere ein Teil des vom Kläger bewohnten Gartens und der allgemein zugängliche Weg vor den Gärten eingesehen und aufgezeichnet.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren wiederum statt. Der OGH hielt die Revision des Beklagten nicht für berechtigt. Aus der Begründung:

Die DSGVO ist auf die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten anwendbar. Dabei werden alle Arten von personenbezogenen Daten geschützt, daher „alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen“. Dieser Begriff ist weit zu verstehen.

In der demonstrativen Aufzählung zur Definition des Begriffs der Verarbeitung finden sich unter anderem die Vorgänge des Erhebens und des Erfassens. Durch diese beiden Vorgänge gelangen Daten in den Verfügungsbereich des Verantwortlichen, wobei dabei aktive Handlungen gesetzt werden müssen. Eine inhaltliche Kenntnisnahme der Aufzeichnungen ist nicht erforderlich, wohl aber die Möglichkeit, inhaltlich Kenntnis zu nehmen. Unterschieden werden diese Vorgänge dadurch, dass das Erheben auf eine gezielte Beschaffung abstellt und das Erfassen eine kontinuierliche Aufzeichnung ist.

Im Fall von Bilddaten muss die abgebildete Person zumindest erkennbar sein. Außerdem ist eine Identifikation einer Person möglich, wenn eine Zuordnung möglich ist, sobald man diese Information mit anderen Informationen verknüpft. Ein Personenbezug kann auch erst im Nachhinein entstehen kann. Dies steht mit der (bisherigen) Rechtsprechung zu § 16 ABGB im Einklang, wonach eine Videoaufzeichnung dann „identifizierend“ ist, wenn sie aufgrund eines oder mehrerer Merkmale letztlich einer bestimmten Person zugeordnet werden kann.

Der hier erkennende OGH-Senat hat bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt, dass eine automatisierte Verarbeitung immer dann vorliegt, wenn Datenverarbeitungsanlagen zum Einsatz kommen. Damit führt jede Benutzung von Computer, Internet oder E-Mail zur Anwendbarkeit der Verordnung, sobald personenbezogene Daten involviert sind.

Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen sind die Voraussetzungen zur Anwendbarkeit der DSGVO im vorliegenden Fall gegeben. Der Beklagte ist als Verantwortlicher anzusehen, weil er die Verfügungsgewalt über die Kamera hat und bestimmt, wann welcher Bereich gefilmt wird. Beim Filmen werden Bilddaten aufgenommen, es liegt somit ein Erfassen vor. Bei den aufgenommenen Bilddaten handelt es sich um personenbezogene Daten, weil diese zumindest im Nachhinein einer bestimmten Person, nämlich dem Kläger bzw dessen Familie, zugeordnet werden können.

Da im vorliegenden Fall auch der öffentliche Zugangsweg zu den Gärten gefilmt wird, kommt eine Anwendung des Haushaltsprivilegs des Art 2 Abs 2 lit c DSGVO nicht in Betracht.

Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten kann rechtmäßig sein, wenn lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person geschützt werden. Dieser Rechtfertigungsgrund ist jedoch eng auszulegen; er erfasst lediglich die höchsten Rechtsgüter wie etwa die körperliche Unversehrtheit und das Leben. Solche sind hier nicht betroffen.

Weiters ist zu prüfen, ob die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist. Gemäß § 12 Abs 3 Z 1 DSG ist eine Bildaufnahme dann zulässig, wenn sie dem vorbeugenden Schutz von Personen oder Sachen auf privaten Liegenschaften, die ausschließlich vom Verantwortlichen genutzt werden, dient und räumlich nicht über die Liegenschaft hinausreicht, mit Ausnahme einer zur Zweckerreichung allenfalls unvermeidbaren Einbeziehung öffentlicher Verkehrsflächen. Dieser Zulässigkeitstatbestand ist hier jedoch nicht gegeben, weil der Beklagte über das „unvermeidliche“ Ausmaß hinaus einen Teil des öffentlichen Zugangswegs und zusätzlich noch einen (wenngleich kleinen) Teil des privaten Gartens des Klägers filmt.

Eine Bildaufnahme kann auch dann zulässig sein, wenn sie für den vorbeugenden Schutz von Personen oder Sachen an öffentlich zugänglichen Orten, die dem Hausrecht des Verantwortlichen unterliegen, aufgrund bereits erfolgter Rechtsverletzungen oder eines in der Natur des Orts liegenden besonderen Gefährdungspotenzials erforderlich ist. Beispielweise im Falle von Diebstählen oder Sachbeschädigungen. Allerdings bedarf es auch in einem solchen Fall einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für den konkreten Einzelfall.

Gemäß bisheriger OGH-Judikatur stellt systematische, verdeckte, identifizierende Videoüberwachung immer einen Eingriff in das geschützte Recht auf Achtung der Geheimsphäre dar. Einer Person darf nicht das Gefühl gegeben werden, dass sie jederzeit überwacht werden kann. Dabei ist auf den Überwachungsdruck abzustellen, den der Überwachte empfindet, sodass es nicht darauf ankommt, wie die Kamera konkret eingestellt ist und wie scharf die Aufnahme tatsächlich ist. Etwa eine konfigurierte Verpixelung von Teilen der erfassten Bereiche ist für einen objektiven Betrachter von außen nicht erkennbar. Entscheidend ist, ob nach den Umständen des Falls die konkrete Befürchtung besteht, dass die Kamera jederzeit in Betrieb gesetzt werden könnte.

Im vorliegenden Fall überwiegen die Interessen des Klägers auf Datenschutz und insbesondere seines Geheimhaltungsinteresses, weil der Beklagte den Zugangsweg zum Garten des Klägers überwacht und so jederzeit feststellen kann, wann der Kläger den Garten betritt. Insbesondere der Umstand, dass die Kamera auch den Garten der Lebensgefährtin des Klägers filmt, greift in dessen Geheimhaltungsinteresse ein.

Damit folgte der OGH der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die Überwachungsmaßnahme des Beklagten im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überschießend sei.