OGH-Entscheidung vom 22.11.2022, 4 Ob 138/22f

 

Sachverhalt:

Die Klägerin betreibt eines der größten österreichischen Lebensmittel-Einzelhandelsunternehmen mit rund 1.100 Filialen und über 20.000 Mitarbeitern. Die Erstbeklagte betreibt ein Fleisch- und Wurstwaren-Erzeugungsunternehmen; sie beliefert die Klägerin mit Almochsenfleisch unter Benutzung einer lizenzierten Marke. Markeninhaber und primärer Lizenzgeber ist ein Verein, dem hunderte Landwirte angehören, die Fleisch unter einem besonders hohen Tierwohl-Standard erzeugen. Bei einem Gespräch mit der Einkaufs-Bereichsleiterin der Klägerin wurde dem Geschäftsführer der Erstbeklagten dargelegt, dass die Klägerin das Fleisch gerne im eigenen Betrieb zerlegen würde. Dieser Vorschlag war für die Erstbeklagte aber wirtschaftlich nicht tragbar. Die Bereichsleiterin stellte daraufhin in den Raum, dass die Erstbeklagte das Geschäft verlieren könnte. Die Bereichsleiterin drohte der Erstbeklagten in weiterer Folge den Entzug des gesamten Geschäftes mit dem Konzern an und baute eine Drohkulisse auf, wobei sie um die wirtschaftliche Abhängigkeit der Erstbeklagten wusste. Auf Frage des Geschäftsführers der Erstbeklagten, ob sie wisse, was sie da machen würde und dies eine Drohung wäre, antwortete die Bereichsleiterin, dass ihr dies bewusst und das Vorgehen mit dem Vorstand auch abgesprochen sei. Der Geschäftsführer (Zweitbeklagter) verließ das Treffen und übermittelte in der Folge der Bereichsleiterin zahlreiche erboste und auch persönlich attackierende SMS-Nachrichten. Er informierte ein Vorstandsmitglied der Großmuttergesellschaft der Klägerin, die Lieferungen einstellen und die Lizenz verkaufen zu wollen. An die Vorstände des markenlizenzgebenden Vereins übermittelte er eine E-Mail, in denen er die Bereichsleiterin und andere Mitarbeiter der Klägerin als hohle Nüsse, inkompetent und bösartig bezeichnete, und es einen Erpressungsversuch gegeben habe. Außerdem übermittelte die Erstbeklagte ein Rundschreiben an die 400 bis 450 Mitgliedsbetriebe des Lizenz-Vereins. Schlussendlich erlangte auch die Presse Kenntnis vom Konflikt zwischen den Parteien.

Die Klägerin begehrte schließlich vor Gericht, gestützt sowohl auf § 1330 Abs 2 ABGB als auch auf §§ 1, 7 UWG, die Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, diese Äußerungen zu verbreiten.

 

Entscheidung:

Nachdem die Parteien einen rechtswirksamen Teilvergleich über die zwei Unterlassungsbegehren betreffend „hohle Nüsse, inkompetent, bösartig“ geschlossen hatten, wies das Erstgericht den restlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es eine einstweilige Verfügung erließ, und zwar in Ansehung der Teile der Begehren, die sich auf „erpresserische Methoden“ beziehen. Der OGH lies den Revisionsrekurs der beklagten Parteien zur Wahrung der Rechtssicherheit zu und befand ihn für berechtigt.

Gemäß § 7 UWG ist es verboten, zu Zwecken des Wettbewerbs über das Unternehmen eines anderen, über die Person des Inhabers oder Leiters des Unternehmens, über die Waren oder Leistungen eines anderen Tatsachen zu behaupten oder zu verbreiten, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Inhabers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Nach § 7 UWG trägt der Beklagte die Beweislast für die Wahrheit seiner Mitteilung. Der Wahrheitsbeweis ist schon dann als erbracht anzusehen, wenn er den Inhalt der Mitteilung im Wesentlichen bestätigt. Nach § 7 UWG zu beurteilende Mitteilungen sind so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen bei ungezwungener Auslegung verstanden werden, nicht aber so, wie sie gemeint waren oder verstanden werden sollten. Dabei ist eine Äußerung nach ihrem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen. Bei abfälligen Äußerungen eines im Wettbewerb stehenden Unternehmens ist die Wettbewerbsabsicht grundsätzlich zu vermuten.

§ 1330 Abs 2 ABGB ist erfüllt, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines Anderen gefährden und deren Unwahrheit er kannte oder kennen musste. Nicht erforderlich ist, dass der Betroffene durch die Äußerungen einen konkreten Schaden erlitten hat; ausreichend ist daher der Nachweis der Eignung der Äußerung, solche Nachteile herbeizuführen. Für eine Tatsachenbehauptung ist wesentlich, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist. Wenn die Rufschädigung – wie hier – nicht gleichzeitig auch eine Ehrenbeleidigung iSd § 1330 Abs 1 ABGB umfasst, trifft den Kläger die Beweislast nach allgemeinen Regeln, das heißt er hat die Tatsachenverbreitung und deren Ursächlichkeit für die Gefährdung oder Verletzung zu beweisen und darüber hinaus auch die Tatsachenunrichtigkeit.

Zum Unterdrucksetzen nach § 7 UWG kam der OGH zu dem Ergebnis, dass die Bereichsleiterin den Zweitbeklagten gezielt und bewusst unter Druck gesetzt hat, indem sie das für die Beklagten zentrale Geschäft in Frage stellte; dies geschah zum Zweck, die Beklagten dazu zu bringen, einen lukrativen Teil ihres Geschäfts – die Zerlegung – der Klägerin künftig selbst zu überlassen. Die Äußerung des Zweitbeklagten ist nicht dahin zu verstehen, dass der Klägerin damit mehr als marktkonform hartes Verhandeln, sondern ein im Konkreten unlauterer und unfairer Missbrauch ihrer Marktmacht vorgeworfen würde. Seinen Geschäftspartnern die Motive für eigenes geschäftliches Handeln zu erläutern, ist daher im vorliegenden Zusammenhang auch dann zulässig, wenn die Verantwortung dafür bei der Ausübung von Marktmacht der Marktgegenseite gesehen und dies so wie hier kommuniziert wird.

Zu „erpresserischen“ Methoden nach § 7 UWG: Der Zweitbeklagte äußerte in einer E-Mail, dass die Klägerin „’erpresserische‘ Methoden“ anwende, wobei er selbst das Adjektiv unter Anführungszeichen setzte. Diese Äußerung wird deshalb und auch aufgrund einer angeschlossenen Mail an die Bereichsleiterin (in dem von einem Erpressungsversuch die Rede ist) nicht dahin verstanden, dass der Klägerin die Verwirklichung eines strafrechtlichen Delikts bzw die konkrete Strafbarkeit ihres Verhaltens iSd § 144 StGB vorgeworfen würde. Damit sah der OGH diese Äußerungen als zulässig wertende Äußerungen an.

Zu „erpresserischen“ Methoden, beurteilt nach § 1330 Abs 2 ABGB, kam der OGH zum selben Ergebnis. Den Beklagten ist nicht das Verbreiten unwahrer Tatsachen, deren sachlicher Kern im Zeitpunkt der Äußerung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte, vorzuwerfen, weil die Bereichsleiterin der Klägerin jenes Verhalten setzte, das die Beklagten für einen durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfänger verständlich ansprachen.

Der OGH stellte folglich den antragsabweisenden Beschluss des Erstgerichts wieder her.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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