OGH-Entscheidung vom 14.9.2022, 6 Ob 97/22s

 

Sachverhalt:

Der Kläger ist Bezirkshauptmann und war im Zuge der Bundespräsidentenwahl 2016 in die Vorverlegung der Auszählung der Wahlkartenstimmen involviert, die schließlich einen zweiten Wahlgang notwendig machte. Gegen den Kläger und andere Beteiligte wurden wegen falscher Beurkundung Strafverfahren geführt und darüber auch medial berichtet.

Die Beklagte ist Medieninhaberin einer Tageszeitung und deren Onlineausgabe. Sie veröffentlichte einen Artikel, in dem über eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs und die Schadenersatzklagen der Republik Österreich gegen vier Wahlleiter (darunter der Beklagte) berichtet wurde.

Wäre der Kläger vor der Berichterstattung kontaktiert worden, hätte er den Redakteur der Beklagten informiert, dass das ihn betreffende Verfahren ruhe und von der Republik Österreich nicht mehr fortgesetzt werden kann.

Der Kläger sah daher in der Berichterstattung einen Verstoß gegen § 1330 Abs 1 und 2 ABGB (Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung) und klagte auf Unterlassung, Beseitigung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs. Er beantragte auch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag wiederum ab. Der OGH befand den dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Klägers für unzulässig.

Ehrenbeleidigung ist jedes der Ehre (Personenwürde) nahetretende Verhalten, auch wenn es strafrechtlich nicht zu ahnden ist. Eine Ehrverletzung kann nur vorliegen, wenn sich durch sie an der Einschätzung des Betroffenen durch seine Umwelt etwas geändert hat oder ändern kann. § 1330 Abs 2 ABGB ist erfüllt, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden und deren Unwahrheit er kannte oder kennen musste. Nicht erforderlich ist, dass der Betroffene durch die Äußerungen einen konkreten Schaden erlitten hat. Die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung hat nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen.

Das Rekursgericht war zu der Ansicht gelangt, dass der in den inkriminierten Artikeln unrichtig wiedergegebene Stand des Schadenersatzprozesses der Republik Österreich gegen den Kläger im Gesamtzusammenhang keinen Eingriff in die Ehre des Klägers bewirkt habe und auch kein Wertungsexzess vorliege. Der OGH billigte diese Entscheidung. Beim unbefangenen, verständigen Durchschnittsleser wird unter Berücksichtigung des Inhalts des gesamten Artikels nicht der vom Kläger unterstellte nachteilige Eindruck erweckt; vielmehr kann dieser die Schlagzeile bei vernetzter Betrachtung mit dem nachfolgenden Text des Artikels nur dahin verstehen, dass den darin erwähnten Wahlleitern (weiterhin) eine gerichtliche Verurteilung zum Ersatz des Schadens aufgrund der Aufhebung und Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl im Jahr 2016 drohe. In den inkriminierten Artikeln kommt ein spezifischer Fehlverhaltensvorwurf gegenüber den einzelnen Wahlleitern gar nicht zur Sprache.

Das Rekursgericht war der Auffassung, der Kläger habe zwar das Verbreiten einer unwahren Tatsachenbehauptung durch die Beklagte bescheinigt, zumal das Schadenersatzverfahren wegen des vereinbarten Ruhens des Verfahrens unter Verzicht auf Verfahrensfortsetzung tatsächlich nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden könne. Die insoweit unrichtige Berichterstattung sei aber nicht geeignet, den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen des Klägers zu gefährden.

 

Link zum Entscheidungstext

 

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