OGH-Entscheidung vom 18.5.2022, 6 Ob 48/22k
Sachverhalt:
Im Zuge eines Gerichtsverfahrens brachte eine Anwaltskanzlei in einem Schriftsatz vor, dass ein Zeuge früher bereits rechtskräftig wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs und Bestimmung zur Untreue zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, um damit die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern. Der Zeuge sah darin einen Eingriff in seine Ehre und seinen wirtschaftlichen Ruf und klagte die Anwaltskanzlei.
Entscheidung:
Der OGH bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, die das Klagebegehren abgewiesen hatten. Behauptungen im Zuge eines Gerichtsverfahrens, die ggf. in die Ehre oder den wirtschaftlichen Ruf des Prozessgegners eingreifen, werden nach ständiger Rechtsprechung als gerechtfertigt angesehen, sofern sie nicht vorsätzlich wider besseres Wissen erhoben werden. Denn das Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege gebietet es, Parteien eines Gerichtsverfahrens nicht einer drohenden Klage nach § 1330 ABGB abzuschrecken. Das kritische Vorbringen muss jedoch zeitlich aus Anlass bzw im Rahmen eines Verfahrens erstattet werden und einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand aufweist.
Auch der Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung iSd § 113 StGB, der grundsätzlich gegen § 1330 ABGB verstößt, kann durch das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und damit im Zusammenhang die Ausübung eines Rechts (Prozesshandlung) gerechtfertigt (iSd § 114 StGB) sein, sodass kein Unterlassungsanspruch besteht. Im Zuge eines Gerichtsverfahrens ist es legitim, ehrenrührige Anschuldigungen gegen den Prozessgegner oder einen Zeugen zu erheben, die dessen Glaubwürdigkeit erschüttern sollen.
Für das Prozessvorbringen durch einen Rechtsanwalt besteht der Rechtfertigungsgrund des § 9 Abs 1 RAO. Danach ist ein Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Ein Rechtsanwalt ist daher verpflichtet, alles zu unternehmen, was den Interessen seines Klienten dienlich ist. Die Grenze, die der Rechtsanwalt in seiner Tätigkeit nicht überschreiten darf, liegt sehr hoch.
Das Rekursgericht war der Ansicht, dass die Erstattung des Vorbringens durch die beklagte Anwaltskanzlei, dass ein maßgeblicher Zeuge rechtskräftig wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs und Bestimmung zur Untreue zu fünf Jahren Haft verurteilt worden sei, um damit die Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen in Zweifel zu ziehen, nicht gänzlich ungeeignet war, dem Verfahrensstandpunkt der dort Beklagten zum Durchbruch zu verhelfen. Da auch kein unrichtiges Vorbringen erstattet worden sei und sich dieses auch als ausreichend sachbezogen erwies, sei dieses Prozessvorbringen gerechtfertigt. Der OGH bestätigte diese Entscheidung und wies den außerordentlichen Revisionsrekurs des Klägers zurück.
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