OGH-Entscheidung vom 23.1.2014, 6Ob 133/13x

Sachverhalt:

Auf einer Internetseite wurde im März 2012 ein Artikel über ein Politiker-Brüderpaar aus Kärnten (die Kläger) abrufbar gehalten. In diesem Artikel wurde berichtet, dass die Kläger gegen ehrenbeleidigende, kreditschädigende beziehungsweise strafrechtlich relevante Beiträge in Online-Diskussionsforen vorgehen.

Unterhalb dieses Artikels konnten User ihre Kommentare in einer Art Diskussionsforum posten. Um posten zu können, mussten sich die User zuvor registrieren, dh einen Benutzernamen auswählen und eine E-Mail-Adresse angeben.

Unter den Postings fanden sich unter anderem Kommentare wie:

  1. „Und was geschieht mit dem herausgepressten Geld? Mit welchem Schlüssel wird es unter wem aufgeteilt? Österreich, die Bananenrepublik Europas.“
  2.  „Man muss also davon ausgehen, dass die S*****-Brüder die Anschrift und den Namen des Users nach einem Strafantrag erhalten haben oder sich die Daten ‚illegal‘ bei der ‚Kleinen Zeitung‘ organisiert haben. Da bei so einem Spiel ein Anwalt üblicherweise kaum mitmacht bietet sich an, dass die S*****-Brüder über korrupte Connections an die Daten gekommen sind. Weiter ist zu beachten, dass nicht nur der Poster, sondern auch die Forenbetreiber für die Inhalte auf ihren Sites verantwortlich und haftbar sind, als hätten sie selber gepostet. Es dürfte sich fast lohnen, wenn der Poster selbst Strafantrag stellt, um die Hintergründe aufzuklären – vielleicht öffnet sich der nächste Sumpf um die Brüder.“
  3. „Ich würde eher sagen, weg mit den ***** Gaunerzwillingen.“
  4. „In anderen Ländern würde der Anwalt und sein Klient wohl selbst wegen Erpressung im Knast landen. … :-)) Aber in Österreich bekommt immer der Recht, der am meisten schmiert.“

Die Inhaber der Website löschte diese Diskussionsbeiträge nach Aufforderung durch die Kläger. Diese brachten schließlich Klage auf Bekanntgabe der E-Mail-Adressen der vier Benutzer unter Berufung auf § 18 Abs 4 ECG ein. Die in den Postings aufgestellten Behauptungen seien unwahr, ehrenbeleidigend, kreditschädigend und zum Teil strafrechtlich relevant; die Kläger beabsichtigten, gegen die Benutzer gerichtlich vorzugehen.

Die Beklagte verweigerte die Bekanntgabe unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis.

Entscheidung:

Das Erstgericht gab der Klage statt; das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte lediglich, die E-Mail-Adresse eines Benutzers bekannt zu geben. Die übrigen Kommentare würden ausschließlich Bewertungen der im Beitrag gebotenen Tatsachenbehauptungen darstellen, ohne dass es zu einem Wertungsexzess gekommen sei.

Beider Streitparteien erhoben außerordentliche Revisionen. Der OGH gab der Revision der Kläger auch Folge; nicht jedoch der Revision der Beklagten.

Aus der Begründung:

Im Hinblick auf § 18 Abs 4 ECG besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Auskunft über eine E-Mail-Adresse; dies entspricht der bisherigen Rsp des OGH. Die Beklagte kann sich jedoch nicht auf das Redaktionsgeheimnis iSd § 31 MedienG berufen. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass Informationen, die ein Medieninhaber/Herausgeber/Medienmitarbeiter gewinnt, ohne dass sie dieser im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem bewusst zugänglich gemacht wurden, nicht als vom Redaktionsgeheimnis geschützte Mitteilung zu qualifizieren sind.

Hinter dem Redaktionsgeheimnis steht folgender Gedanke: Medien können  ihrer wichtigen Kontroll- und Aufklärungsfunktion nur dann effektiv nachkommen, wenn sie an geheime Informationen gelangen und vertrauliche Hinweise erhalten. Die Bereitschaft von potenziellen Informanten, Heikles preiszugeben und Brisantes mitzuteilen, ist aber wesentlich davon abhängig, wie sehr diese befürchten müssen, dadurch Nachteile zu erleiden. Wären Journalisten daher verpflichtet, ihre Informanten preiszugeben, stünde zu befürchten, dass diese wichtigen Quellen versiegen würden. Daher wird es den Journalisten als Ausfluss von § 31 MedienG ermöglicht, ihren Informanten wirksam Vertraulichkeit zuzusichern.

Es muss also zumindest irgendeine Tätigkeit/Kontrolle/Kenntnisnahme eines Medienmitarbeiters intendiert sein, damit der Schutz des § 31 MedienG in Anspruch genommen werden kann. Allein die durch das Zurverfügungstellen des Online-Forums erklärte Absicht, alles zu veröffentlichen, was die Nutzer posten, reicht hingegen nicht aus, um den notwendigen Mindestzusammenhang zur Tätigkeit der Presse herzustellen.

Eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis dann unzulässig ist, wenn ein Posting in keinerlei Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit steht. 

Dies würde nämlich lediglich dazu führen, dass Personen, die unter dem (vermeintlichen) Deckmantel der Anonymität im Internet andere Personen in einer § 1330 ABGB und/oder medienrechtliche Bestimmungen verletzenden Weise insultieren, einfach auf andere unmoderierte Websites ausweichen und dort ihre Insultationen fortsetzen.

Der OGH stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her und bejahte den Anspruch hinsichtlich aller in der Klage genannten User. Ob die Postings ehernbeleidigend und/oder kreditschädigend waren, könne erst im Verfahren gegen den konkreten Poster geprüft werden. Für das Auskunftsbegehren genüge die Glaubhaftmachung hinsichtlich des überwiegenden rechtlichen Interesses an der Feststellung der Identität eines Nutzers.