OGH-Entscheidung vom 16.9.2020, 6 Ob 144/20z

 

Sachverhalt:

Der Sohn des Klägers hatte zwei Töchter mit der Beklagten, geboren 2011 und 2012; der Kläger ist somit deren Großvater. Der Kläger hat zudem eine Stieftochter, die wiederum Mutter eines behinderten Sohnes ist, wobei dessen Behinderung auf Komplikationen bei der Geburt zurückzuführen ist. Die Streitparteien wussten dies.

Nachdem die Enkelinnen des Klägers auffälliges Verhalten gezeigt hatten, das in Richtung sexuellen Missbrauch gedeutet werden konnte, fand ein Termin beim Jugendamt statt. Im Zuge der Schilderungen wurde von der Beklagten ein Verdacht dahin geäußert, dass der Kläger (also der Großvater) hinter einem allfälligen sexuellen Missbrauch ihrer Kinder stehen könne. Die Beklagte warf auch die Frage auf, ob die Stieftochter des Klägers nicht die Halbschwester des Klägers sei. Sie meinte unter anderem, dass es sei schon eigenartig sei, dass die Stieftochter und deren Sohn vom Kläger finanziell unterstützt würden und dass der Sohn behindert sei. Der Sohn des Klägers und eine Mitarbeiterin des Jugendamts verstanden die Äußerungen der Beklagten als Äußerung eines Verdachts auf Inzest durch den Kläger. Die Verdächtigungen wurden dem Kläger berichtet, der daraufhin gestützt auf § 1330 ABGB u.a. auf Unterlassung klagte.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen untersagten der Beklagten Äußerungen, wonach der Kläger Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt habe. Der OGH befand die ordentliche Revision der Klägerin für unzulässig. In seiner Begründung erwog der OGH unter anderem Folgendes:

Nach stRsp des OGH rechtfertigt der Schutz des Familienlebens (Art 8 Abs 1 EMRK) unbeschwerte (vertrauliche) Äußerungen innerhalb der Familie auch dann, wenn kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB vorliegt. Gemäß § 1330 Abs 2 Satz 3 haftet ein Äußernder für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung nicht, wenn er deren Unwahrheit nicht kennt und wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Äußerungen im Familienkreis werden dabei nicht als Teil des Rechtfertigungsgrundes nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB gesehen, sondern als Einschränkung des Tatbestands insofern behandelt, als in diesem Fall gar kein „Verbreiten“ einer Tatsachenbehauptung vorliegt, zumindest wenn keine Gefahr der Weiterverbreitung durch unreife Familienmitglieder besteht. Bei vertraulichen Äußerungen im Familienkreis gegenüber den eigenen nächsten Angehörigen muss regelmäßig nicht erwartet werden, dass sie tatsächlich in die Umwelt gelangen, wodurch das Ansehen des Beleidigten anschließend beeinträchtigt werden könnte.

Zur Frage, wie weit der „Familienkreis“ in diesem Zusammenhang reicht, verwies der OGH auf frühere Entscheidungen, wonach Voraussetzung für die Privilegierung im Familienkreis sei, dass ein besonderes Naheverhältnis zwischen dem Äußernden und dem Empfänger der Äußerung bestehe; in diesem Sinn wurde von der „beleidigungsfreien Intimsphäre“ gesprochen. Etwa bei zerstrittenen Familien bestehe jedoch die Gefahr, dass die beleidigenden Äußerungen nach außen dringen.

Im vorliegenden Fall bestätigte der OGH die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach es sich beim Sohn des Klägers nicht um einen nahen Angehörigen der Beklagten handelt, weil er und die Beklagte nie verheiratet waren und die beiden bereits seit geraumer Zeit getrennt leben. Von einer vertraulichen Äußerung im Familienkreis, bei der nicht angenommen werden kann, dass sie nach außen dringt, könne bei dieser Sachlage nicht gesprochen werden. Die Beklagte musste angesichts der Familienverhältnisse realistischerweise davon ausgehen, dass der Sohn des Klägers diesem sofort von den Vorwürfen erzählen werde.

Zudem lag kein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Äußerung vor, da diese Kenntnis davon hatte, wer tatsächlich der Vater der Stieftochter des Klägers und wer der Vater deren Sohnes ist und warum letzterer behindert ist. Die Äußerung wurde daher auch wider besseres Wissen getätigt.

Die vom Kläger inkriminierte Äußerung, er habe Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt, stellte daher eine Ehrverletzung nach § 1330 Abs 1 ABGB dar und die Beklagte wurde zur Unterlassung verpflichtet.