OGH-Entscheidung vom 21.11.2023, 4 Ob 159/23w

 

Sachverhalt:

In diesem Verfahren ging es grundsätzlich um irreführende Werbemaßnahmen der Beklagten. Trotz Vertragsauflösung hatte diese weiterhin mit Produkten der Klägerin geworben. Das Erstgericht erließ ohne Anhörung der Beklagten eine einstweilige Verfügung.

Als mögliche Rechtsmittel gegen einstweilige Verfügungen stehen grundsätzlich Rekurs und Widerspruch zur Verfügung. Die Beklagte erhob Widerspruch (und ausdrücklich nur für den Fall dessen Nichtstattgebung Rekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung). Sie führte unter anderem ins Treffen, dass die Klägerin kein ausreichendes Vorbringen zur Vertragsauflösung erstattet habe. Daraufhin äußerte sich die Klägerin schriftlich zum Widerspruch und ergänzte ihr Vorbringen zu den Gründen für die vorzeitige Auflösung.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht fasste daraufhin einen Beschluss mit umfangreicheren Sachverhaltsfeststellungen, mit dem es den Widerspruch der Beklagten abwies. Daraufhin legte das Erstgericht den (für den Fall der Abweisung des Widerspruchs erhobenen) Rekurs zur Entscheidung durch das Rekursgericht vor. Das Rekursgericht gab diesem Rekurs Folge und wies den Provisorialantrag ab. Die Tatsachenbehauptungen der Klägerin im ursprünglichen EV-Antrag seien nicht ausreichend gewesen. Der OGH gab dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin Folge und stellte die einstweilige Verfügung wieder her:

Neben einem Widerspruch nach § 397 EO ist gleichzeitig auch ein Rekurs gegen eine einstweilige Verfügung zulässig. Im Widerspruchsverfahren kann geltend gemacht werden, dass der behauptete Anspruch nicht bescheinigt und trotzdem die beantragte einstweilige Verfügung erlassen worden sei, oder dass der bescheinigte Anspruch nicht bestehe. In diesem Falle hat der Gegner der gefährdeten Partei den Nichtbestand des Anspruchs glaubhaft zu machen. Ihn trifft diesbezüglich die Behauptungspflicht und Bescheinigungspflicht hinsichtlich. Der Widerspruch ersetzt so auch eine unterbliebene Vernehmung des Gegners der gefährdeten Partei – im wird nachträglich rechtliches Gehör gewährt.

Maßgeblich ist nur die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung. Spätere Vorfälle sind ausschließlich im Verfahren über einen Aufhebungsantrag zu prüfen. Es können einerseits Tatsachen vorgebracht werden, die zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden waren, und infolge des Nichtbestehens der Eventualmaxime kann auf Tatsachenvorbringen des Widersprechenden reagiert werden, sofern sich das neue Vorbringen auf die Sachlage zum Zeitpunkt vor der Erlassung der einstweiligen Verfügung bezieht. Das Widerspruchsverfahren kann daher zu einer wesentlichen Änderung der im vorangegangenen einseitigen Verfahren gewonnenen Feststellungen und damit der Entscheidungsgrundlage führen. Die Entscheidung über den Widerspruch ist gegenüber der einstweiligen Verfügung somit keine völlig neue und von ihr unabhängige Entscheidung, sondern stellt beide Parteien so, wie sie gestellt wären, wenn die einstweilige Verfügung in einem zweiseitigen Verfahren erlassen worden wäre.

Die Entscheidung über den Widerspruch ist mit Rekurs bekämpfbar bzw. kann auch der schon erhobene Rekurs gegen die einstweilige Verfügung aufrechterhalten werden. Im vorliegenden Fall war als nächstes über den Rekurs gegen die einstweilige Verfügung zu entscheiden, der nachrangig behandelt werden sollte. Die Widerspruchsentscheidung blieb unangefochten.

Die Vorgangsweise des Rekursgerichts, die einstweilige Verfügung allein anhand der ursprünglichen, im einseitigen Verfahren ergangenen Entscheidungsgrundlage zu prüfen, fand nicht die Zustimmung des OGH. Die einstweilige Verfügung ist anhand der durch das Widerspruchsverfahren bestimmten Entscheidungsgrundlage zu beurteilen.

Die Beklagte hatte in ihrem Rekurs als einzige rechtliche Aspekte für die von ihr beantragte Antragsabweisung ins Treffen geführt, dass die Klägerin keinen wichtigen Grund für die sofortige Vertragsauflösung genannt und das Erstgericht die einstweilige Verfügung ohne ausreichende Bescheinigung erlassen habe. Durch das vorrangig geführte Widerspruchsverfahren wurde der Rekursbegründung der Boden entzogen, denn die Klägerin hatte ihr Vorbringen entsprechend ergänzt und auf dieser Grundlage wurde vom Erstgericht eine Entscheidung auf breiterer Entscheidungsgrundlage getroffen.

Der OGH stellte daher die einstweilige Verfügung wieder her.

 

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