OGH-Entscheidung vom 27.5.2021, 4 Ob 90/21w

 

Sachverhalt:

Die Klägerin begehrte mit einer Mahnklage die Zahlung eines Geldbetrages von der beklagten Gesellschaft. Nach dem Bericht des Zustellers wurde der Zahlungsbefehl am Sitz der Beklagten zugestellt. Das Erstgericht erklärte den Zahlungsbefehl mangels Einspruchs für vollstreckbar. Die Beklagte beantragte jedoch die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und die Zustellung des Zahlungsbefehls. Denn die aus dem Rückschein ersichtliche Unterschrift stamme weder von ihren Geschäftsführern noch von einem sonstigen Mitarbeiter. Von der Existenz des Zahlungsbefehls hätte sie erstmals durch die Zustellung der Exekutionsbewilligung erfahren.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht hob die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls auf. Es sei nicht feststellbar, an wen die Zustellung konkret erfolgt sei. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin gegen diese Entscheidung Folge. Der OGH befand den Revisionsrekurs der Beklagten zur Klarstellung der Rechtslage für zulässig und berechtigt.

Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein) zu beurkunden. Die vom Zusteller erstellten Zustellausweise sind nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden, die den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung wird der Beweis des Gegenteils verlangt. Bei einem solchen Beweis des Gegenteils muss der Richter überzeugt werden, dass die vermutete Tatsache bzw der vermutete Rechtszustand nicht besteht. Davon zu unterscheiden ist der sogenannte Gegenbeweis, bei dem es bereits ausreicht, dass eine Vermutungsbasis erschüttert wird.

Die Rechtsprechung spricht bei einem Zustellnachweis im Zusammenhang mit § 292 Abs 2 ZPO in aller Regel (nur) von der Notwendigkeit des „Gegenbeweises“. Weichen bei der Prüfung des Zustellvorgangs Beweisergebnisse voneinander ab und kann der Sachverhalt auch nicht im Wege der Beweiswürdigung geklärt werden, ist im Zweifel keine wirksame Zustellung anzunehmen. In der Rechtsprechung wird daher vertreten, dass verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer Zustellung „zu Lasten der Behörde“ gehen.

Diejenige Partei, die sich darauf beruft, dass an sie – ungeachtet eines vom Zusteller erstellten Zustellausweises – keine wirksame Zustellung erfolgt ist, muss demnach nicht beweisen, dass das Zustellorgan die Zustellung falsch beurkundet hat. Diese Partei trifft damit keine Beweislast(-umkehr). Es reicht vielmehr aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben. Da im Anlassfall Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung an die Beklagte bestehen, konnte nicht gesichert festgestellt werden, dass die Beklagte den Zahlungsbefehl erhalten hat. Im Zweifel ist daher von der Unwirksamkeit der Zustellung auszugehen.

 

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