OGH-Entscheidung vom 23.9.2020, 1 Ob 167/20w

 

Sachverhalt:

Eine Vermieterin begehrte vor Gericht die Zahlung von ausständiger Miete sowie die Räumung der Wohnung durch ihre Mieter. Die Klage samt Ladung wurde durch Hinterlegung an die Adresse dieser Wohnung zugestellt. Die Schriftstücke wurden von den Beklagten – die bis einen Tag nach dem Hinterlegungsdatum noch an der Andresse wohnhaft waren – nicht behoben. Mit Beginn der Abholfrist übersiedelten sie in eine andere Wohnung.

Zur vorbereitenden Tagsatzung erschienen die Beklagten nicht, weshalb ein klagestattgebendes Versäumungsurteil erging. Dieses wurde erneut durch Hinterlegung an der Adresse der Wohnung zugestellt. Die Versäumungsurteile wurden ebenfalls nicht behoben. Das Erstgericht bestätigte in weiterer Folge die Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils.

Die Beklagten beantragten schließlich die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung des Versäumungsurteils wegen Rechtswidrigkeit des Zustellvorgangs. Sie hätten ursprünglich das Objekt bewohnt, sich aber dort nie melden können, weil es eine Widmung als Bürogebäude habe. Sie hätten dort auch nie Post erhalten. Folglich hätten sie auch keine Verständigung von der Klage und von der Tagsatzung, weiters auch nie ein Versäumungsurteil erhalten. Auch einen „gelben Zettel“ hätten sie nie bekommen. Vom Verfahren hätten sie erst durch die Exekution erlangt.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht hob die Vollstreckbarkeitsbestätigung auf. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Den dagegen erhobenen Rekurs der Beklagten erachtete der OGH zwar für zulässig, jedoch nicht berechtigt.

In seiner Begründung führte der OGH aus, dass gemäß § 8 Abs 1 ZustG eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen hat. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist die Zustellung durch Hinterlegung nach § 17 ZustG vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ändert eine Partei während eines ihr bekannten Verfahrens die Abgabestelle ohne dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, so kann weiterhin an die bisherige Abgabestelle zugestellt werden. Eine Hinterlegung wirkt daher als Zustellung, und zwar unabhängig davon, wo sich die Partei befindet. Die Partei trägt mit der Unterlassung der Mitteilung der Änderung der Abgabestelle die Gefahr, dass an der früheren Abgabestelle zugestellt wird. Durch die Meldung des neuen Wohnsitzes „beim Meldeamt“ sind die Beklagten ihrer Verpflichtung zur Meldung gegenüber dem Erstgericht jedenfalls nicht nachgekommen.

Ob die positive Kenntnis der Partei für die Anwendung des § 8 ZustG erforderlich ist oder nicht, wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Die Verpflichtung, Änderungen ihrer Abgabestelle der Behörde mitzuteilen, trifft aber nur jenen, der bereits von einem bestimmten Verfahren Kenntnis hat. Für die Anwendung des § 8 ZustG darf es keinen Unterschied machen, ob der Beklagte die Klage abholt und sie aufmerksam liest, er sie abholt und ungelesen wegwirft, er sie nach Hause bringt, nicht ansieht und schließlich vergisst oder ob er die Klage nicht abholt. In all diesen Fällen ist von einer wirksamen Zustellung und auch von der Kenntnis vom Verfahren auszugehen, hat doch der Beklagte jederzeit die Möglichkeit gehabt, vom Inhalt Kenntnis zu erlangen. Wird demgegenüber nur auf die tatsächliche Kenntnis vom Inhalt eines zugestellten Dokuments abgestellt, hätte es die Partei in der Hand, durch Nichtbeheben von behördlichen Schriftstücken die Rechtswirkungen des § 8 ZustG zu unterlaufen. Der Ausdruck „von dem sie Kenntnis hat“ in § 8 Abs 1 ZustG ist daher dahin zu reduzieren, dass die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle unabhängig von der Zustellart, die zur rechtswirksamen Zustellung führte (Hinterlegung, Zurücklassung, elektronische Zustellung etc), besteht. Dadurch besteht jedenfalls die Möglichkeit zur Kenntnisnahme vom Inhalt, die nach dieser Bestimmung ausreicht. Der OGH erachtete daher die Entscheidung des Rekursgerichtes für zutreffend, das davon ausgegangen ist, dass die rechtswirksame Zustellung der Klage an die Beklagten für die Anwendung des § 8 ZustG ausreicht.

Der Rekurs der Beklagten hatte daher keinen Erfolg. Der OGH verwies das Verfahren an die erste Instanz zurück, weil die Beklagten die Hinterlassung einer Verständigung („gelber Zettel“) über die Hinterlegung bestritten. Daher ist vom Erstgericht zu klären, ob die Zustellung durch Hinterlegung an sich ordnungsgemäß (entsprechend § 17 ZustG) erfolgte.