OGH-Entscheidung vom 14.9.2022, 6 Ob 66/22g

 

Sachverhalt:

Die Klägerin erwarb im Frühsommer 2018 die Stute Firenze. Die Beklagte hatte dieses Pferd selbst erst 2016 gekauft, war aber mit ihm unzufrieden. Die Stute hatte sich für den vorgesehenen Zweck (Dressursport) als nicht geeignet gezeigt. Die Stute war im Dezember 2013 mit dem Befund Hufrehe behandelt worden. Die Beklagte meinte jedoch, diese Erkrankung sei folgenlos abgeklungen; medizinische Untersuchungen blieben ohne Befund. Beim Verkauf bot die Klägerin – wenn das Pferd wirklich gesund sei – 10.000 EUR an. Die Beklagte versicherte der Klägerin, dass das Pferd gesund sei. Den Befund über die Erkrankung von Firenze im Jahr 2013 erwähnte sie nicht. Die Parteien einigten sich schließlich auf einen Kaufpreis iHv 10.000 EUR. Ein schriftlicher Kaufvertrag wurde nicht abgeschlossen. Nachdem auch der Klägerin die dressurmäßige Bereitung des Pferdes nicht gelungen war, forderte sie von der Beklagten vorliegende Röntgenbilder ab und versuchte in der Folge, das Pferd wieder zu verkaufen. Der im Rahmen ihrer Verkaufsbemühungen beigezogene Tierarzt brach einen begonnenen Ankaufstest sofort wegen der (für ihn erkennbaren) Erkrankung ab und meinte, das Pferd sei aufgrund einer Hufbeinabsenkung und Hufbeinrotation auf beiden Beinen nicht reitbar. Dieser Befund wurde in der Folge sowohl von einer Tierklinik und einem weiteren Tierarzt bestätigt. Dennoch lehnte die beklagte die Rücknahme des Pferdes ab.

Bei Berücksichtigung der vorhandenen Huferkrankung hatte das Pferd im Zeitpunkt der Übergabe keinen Verkehrswert. Die Klägerin bezahlte für die Monate Juni 2018 bis Mai 2021 16.640 EUR an Einstellkosten samt Koppelkosten. Hinzu kamen Kosten für Tierarzt, Hufschmied und für Wurmkuren.

Die Klägerin begehrte schließlich vor Gericht die Rückabwicklung des Kaufs, Zahlung von Aufwandersatz und Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Kosten bis zur Rücknahme des Pferdes.

Der in diesem Verfahren beigezogene Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass er es aus ethischen Gründen für erforderlich ansehe, das als krank anzusehende Pferd einzuschläfern. Die Klägerin nahm von einer Euthanasierung des Pferdes wegen des anhängigen Verfahrens und der von ihr angenommenen Verpflichtung zur Rückgabe des Pferdes an die Beklagte Abstand.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Klägerin sei eine Euthanasierung des Tieres in dieser Situation nicht zumutbar (gewesen), weil die Stute möglicherweise noch für Beweiszwecke zur Verfügung stehen müsse. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Der OGH befand die Revision der Beklagten für zulässig und teilweise berechtigt.

Zur Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rücknahme des Pferdes:

Nach dem festgestellten Sachverhalt war das verkaufte (kranke, nicht reitbare) Pferd weniger als die Hälfte des vereinbarten Kaufpreises wert. Der OGH bestätigte daher die Entscheidung der Vorinstanzen über Rückzahlung des Kaufpreises gegen Ausfolgung des Pferdes wegen der Wertlosigkeit des Tieres. Eine Unmöglichkeit der Rückgabe des Pferdes (etwa wegen einer zwischenzeitig erfolgten Euthanasierung) würde die Rückabwicklung im Übrigen nicht behindern.

Zum Ersatz für Aufwendungen:

Die Beklagte wandte ein, dass jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem das Tier zu euthanasieren gewesen wäre, Aufwendungen nicht mehr im Interesse der Beklagten, sondern nur mehr im Interesse der Klägerin (Erforderlichkeit als Beweismittel, Einhaltung der Rückgabeverpflichtung) gelegen seien. Die Klägerin habe sich damit nicht wie ein wirtschaftlich denkender Mensch verhalten. Die Klägerin erwiderte, es könne ihr nicht zugemutet werden, ein Beweismittel aus der Hand zu geben. Die Beklagte hätte das Pferd längst übernehmen oder den Gesundheitszustand außer Streit stellen können. Gerade bei Tieren könne die Erhaltung des Lebens auch bei objektiver Wertlosigkeit von redlichen Besitzern verfolgt werden.

Der OGH stimmte der Beklagten in diesem Punkt zu, dass die besondere Position eines Tierhalters und die damit verbundenen Pflichten im vorliegenden Fall von entscheidungswesentlicher Bedeutung sind: Tierschutz ist in der Verfassung verankert worden. Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt (§ 285a ABGB). Daher kann sich bei einem Tier (anders als bei einer leblosen Sache) niemand (erfolgreich) auf § 354 ABGB berufen und behaupten, er könne mit seinem Tier nach seiner „Willkür“ verfahren. § 285a ABGB bringt insoweit klar den Vorrang der im öffentlichen Recht wurzelnden Bestimmungen zum Schutz des Lebens und des Wohlbefindens von Tieren zum Ausdruck.

Gemäß § 6 Abs 1 Tierschutzgesetz ist es verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten. Das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ ist im Einzelfall durch eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Tierschutzes zu beurteilen. Eine Erkrankung oder Verletzung rechtfertigt die Tötung eines Heimtieres (nur) dann, wenn der Zustand des Tieres mit Schmerzen oder Leiden verbunden ist und eine Therapie nach fachkundigem Urteil nicht erfolgversprechend scheint, unmöglich oder dem Tierhalter (insbesondere aus Kostengründen) nicht zumutbar ist. Dabei ist auf die Wertungen des § 1332a ABGB zurückzugreifen. Innerhalb der Zumutbarkeitsgrenze normiert § 15 TSchG eine Behandlungspflicht. Der Verkehrswert eines Tieres ist für die Frage der Zumutbarkeit der Haltungskosten in aller Regel ohne (große) Bedeutung. Jeder verständige Tierhalter hat die zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit notwendigen Kosten zu tragen. Allerdings können darunter nur jene Kosten fallen, die einem tierschutzgerechten Lebenserhalt gedient haben. Die Beklagte wendete sich insoweit zu Recht dagegen, dass ihr der Ersatz von Kosten für Aufwendungen auf ein Heimtier, das nach fachkundiger Expertise eines Sachverständigen getötet („erlöst“) hätte werden müssen, auferlegt wurde. Das Wandlungsrecht wäre durch eine Euthanasierung nicht gefährdet gewesen; eine unterbleibende Rückgabe ist ohne Auswirkungen auf den Zahlungsanspruch. Die im öffentlichen Recht wurzelnden, den Schutz des Tieres gewährleistenden Pflichten gehen nach Abwägung der Interessen einer zivilrechtlichen Rückgabeverpflichtung vor. Unnötig langes Leiden eines Heimtieres, das zu euthanasieren ist, kann dadurch nicht gerechtfertigt werden. Beweisprobleme haben sich im vorliegenden Fall nicht gestellt, da die Befundung durch den Sachverständigen bereits erfolgt ist. Zu einem anderen Ergebnis käme man auch aus dem Blickwinkel eines Schadenersatzanspruchs nicht. Die Ersatzpflicht wäre durch die Schadensminderungspflicht begrenzt. Auch ein allfälliger Schadenersatzanspruch ginge damit hier nicht über den Aufwandersatz nach § 331 ABGB hinaus.

Umgelegt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Klägerin Ersatz für Aufwendungen auf das Tier nur bis zur Mitteilung des Sachverständigen, mit der sie davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Euthanasierung des Pferdes geboten ist, zu ersetzen sind.

Zum Feststellungsbegehren:

Nach Schluss des Gerichtsverfahrens auflaufende Betreuungskosten können in Anbetracht der obigen Entscheidungsgründe nicht mehr ersatzfähig sein; denkbar wäre eine Ersatzpflicht nur hinsichtlich der Kosten einer Euthanasierung und des daran anschließenden Aufwands.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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