OGH-Entscheidung vom 29.3.2022, 4 Ob 30/22y

 

Sachverhalt:

Der Kläger wohnt im Vereinigten Königreich. Er klagte seine österreichische Vertragspartnerin vor einem österreichischen Gericht auf Zahlung und Feststellung. Der Vertrag beinhaltete eine Gerichtsstandsvereinbarung, wonach ausschließlich österreichische Gerichte zuständig sein sollen.

Die Beklagte beantragte, dem Kläger eine Sicherheitsleistung für Prozesskosten nach § 57 ZPO in Höhe von 30.000 EUR aufzuerlegen. (Sinn einer solchen aktorischen Kaution ist es, einen inländischen Beklagten vor Gefahr zu schützen, von einem ausländischen Kläger keinen Prozesskostenersatz zu erlangen wenn dieser unterliegt.) Das Erstgericht trug dem Kläger auf, eine Prozesskostensicherheit von 8.000 EUR zu erlegen. Der Kläger bekämpfte diesen Beschluss.

 

Entscheidung:

Das Rekursgericht wies den Antrag der Beklagten zur Gänze ab. Denn das Vereinigte Königreichs habe im Zuge des Brexits das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen in Zivil- und Handelssachen (HGÜ) ratifiziert, das bereits in Kraft getreten und auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden sei.

Nach Art 8 HGÜ werde die Entscheidung eines in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gerichts eines Vertragsstaats in den anderen Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt. Bei der zwischen den Streitparteien vertraglich vereinbarten Gerichtsstandsklausel handle es sich um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 3 HGÜ. Gemäß § 57 Abs 2 Z 1a ZPO sei daher keine Prozesskostensicherheit aufzuerlegen.

Der OGH befand den dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Beklagten für unberechtigt. Nach § 57 Abs 1 ZPO haben Ausländer, wenn sie vor einem österreichischen Gericht als Kläger auftreten, dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozesskosten Sicherheit zu leisten, sofern nicht durch Staatsverträge etwas anderes festgesetzt ist. Nach § 57 Abs 2 ZPO tritt eine solche Verpflichtung zur Sicherheitsleistung unter anderem dann nicht ein, wenn eine gerichtliche Entscheidung, die dem Kläger den Ersatz von Prozesskosten an den Beklagten auferlegte, im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers vollstreckt würde.

Mit dem Inkrafttreten der internationalen und konkreten Verpflichtung gemäß HGÜ, eine (Kosten-)Entscheidung des Urteilsstaats zu vollstrecken, kommt Vollstreckungsstaaten und ihren Gerichten kein Ermessen zu, ob sie grundsätzlich vollstrecken wollen oder nicht. Schon aufgrund und nach den Vorgaben des HGÜ ist ein Urteil (einschließlich Kostenzuspruch) im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers zu vollstrecken, sodass dieser nach § 57 Abs 2 Z 1a ZPO vom Erlag einer Prozesskostensicherheit befreit ist.

 

 

Link zur OGH-Entscheidung

 

 

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