OLG Wien-Entscheidung vom 27.1.2025, 4 R 121/24d
Sachverhalt:
Im politischen Schlagabtausch zwischen zwei im Nationalrat vertretenen Parteien kam es zu einer Presseaussendung eines Parlamentsklubs in der u.a. zu lesen stand, dass die klagende Partei bei ihrem „tiefen Staat in der Justiz ein Verfahren ‚bestellt‘“ habe.
Die Klägerin (eine politische Partei) sah darin die unwahre Tatsachenbehauptung, sie habe ein Ermittlungsverfahren durch Einflussnahme auf die Oberstaatsanwaltschaft Wien veranlasst, obwohl die WKStA zuvor mangels Anfangsverdachts von einer Verfahrenseinleitung abgesehen habe. Sie beantragte eine einstweilige Verfügung zur Unterlassung der Behauptung.
Entscheidung:
Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Es wertete die Aussage so, dass der unbefangene Durchschnittsleser den Eindruck gewinnen müsse, die Klägerin habe rechtswidrig Einfluss auf die Justiz genommen, was den Vorwurf der Anstiftung zum Amtsmissbrauch beinhalte. Gegen diese Entscheidung erhob der beklagte Parlamentsklub Rekurs.
Das OLG Wien bestätigte die vom Handelsgericht erlassene einstweilige Verfügung: Die Formulierung, die Partei habe ein Verfahren „bestellt“, sei für den Durchschnittsadressaten als überprüfbare Tatsachenbehauptung zu verstehen, nämlich als Vorwurf, die Klägerin habe auf die Oberstaatsanwaltschaft Wien unrechtmäßig Einfluss genommen und damit eine Anstiftung zum Amtsmissbrauch bewirkt. Maßgeblich sei nicht die subjektive Absicht des Erklärenden, sondern wie ein unbefangener Durchschnittsleser die beanstandete Aussage versteht.
Die Anführungszeichen änderten nichts am Tatsachencharakter; „bestellen“ bedeute im allgemeinen Sprachgebrauch „in Auftrag geben“. Die vom Beklagten hervorgehobenen Anführungszeichen änderten daran nichts; vielmehr verstärkten sie den Eindruck, dass hier eine Tatsachenbehauptung und nicht bloß eine ironische Zuspitzung vorliege. Es handle sich damit um eine überprüfbare und zugleich unwahre Tatsachenbehauptung, deren Richtigkeit der Beklagte nicht behauptet habe.
Zwar sei es in einer Demokratie zulässig, politische Gegner auch scharf zu kritisieren und polemisch anzugreifen. Die Grenze sei jedoch dort erreicht, wo durch unwahre Behauptungen der Eindruck strafbaren Verhaltens vermittelt wird. Genau dies sei hier der Fall: Die Aussage unterstelle der Klägerin, auf die Justiz eingewirkt und dadurch eine Anstiftung zum Amtsmissbrauch begangen zu haben. Damit werde sowohl der Tatbestand der Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB als auch derjenige der Kreditschädigung nach § 1330 Abs 2 ABGB erfüllt.
Auf unwahre Tatsachen gestützte Wertungen genießen keinen Schutz durch Art 10 EMRK. Im politischen Meinungskampf genügt zwar ein geringes Tatsachensubstrat für scharfe Kritik, doch endet die Meinungsfreiheit dort, wo bewusst oder zumindest leichtfertig unrichtige Tatsachen über den Gegner verbreitet werden.
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