OGH-Entscheidung vom 24.5.2022, 4 Ob 37/22b

 

Sachverhalt:

Ein Fotograf erstellte im Auftrag der klagenden Partei folgendes Bild von FPÖ-Politiker Herbert Kickl:

Dieses Bild wurde rechts unten mit folgendem Text versehen: „Ich werde die engen Mauern des Parlaments verlassen und an der Corona-Demo am Sonntag teilnehmen! Herbert Kickl FPÖ-Klubobmann“. Der Fotograf übertrug dem Kläger exklusiv sämtliche im Zusammenhang mit dem Werk stehenden gewerblichen Nutzungsrechte.

Der beklagte Verein veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite unter Verwendung dieses Bildes (ohne Zustimmung des Fotografen oder des Klägers) folgenden Demonstrationsaufruf:

Daraufhin wurde der Verein u.a. auf Unterlassung, Beseitigung und Zahlung von Schadenersatz geklagt.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und wies die Klage ab. Der OGH befand die Revision der Klägerin gegen diese Entscheidung zwar für zulässig, aber im Ergebnis unberechtigt.

Der OGH stimmte dem Berufungsgericht nicht zu, dass davon ausging, dass eine Neuschöpfung im Sinn des § 5 Abs 2 UrhG vorliegt. Eine selbständige Neuschöpfung, bei der das benützte Werk völlig in den Hintergrund tritt, ist meist dann anzunehmen, wenn die Übereinstimmung mit dem benützten Werk nur im Thema, der Idee, dem Stoff oder der Problemstellung besteht. Im vorliegenden Fall verneinte der OGH das Vorliegen einer Neuschöpfung im Sinne des § 5 UrhG. Durch das bloße Überschreiben des sonst unverändert gebliebenen (und damit auch als Werkunterlage verwendeten) Werks lag keine besondere Individualität der Grafik vor, weshalb das Werk des Klägers nicht „vollständig in den Hintergrund tritt“. Die bearbeitete Grafik des Beklagte wies auch keine besonderen schöpferischen Züge auf, um als individuelle und selbständige geistige Leistung angesehen werden zu können. Die strengen Anforderungen an das Vorliegen einer freien Benützung lagen damit nicht vor.

Dennoch bestätigte der OGH die Klagsabweisung, weil der Eingriff in den Urheberrechtsschutz durch die beklagte Partei im politischen Meinungsstreit wegen § 42f UrhG (Zitatrecht) im Zusammenhang mit dem Recht der freien Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) gerechtfertigt war. § 42f UrhG wurde mit der Urheberrechts-Novelle 2015 eingeführt. Demnach darf ein veröffentlichtes Werk zum Zweck des Zitats vervielfältigt, verbreitet, durch Rundfunk gesendet, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und zu öffentlichen Vorträgen, Aufführungen und Vorführungen benutzt werden, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.

Für die Zulässigkeit der Veröffentlichung der Lichtbilder als Bildzitat ist Voraussetzung, dass das in den Berichten jeweils wiedergegebene Bild Zitat- und Belegfunktion hatte. Ein nach § 42f UrhG zulässiges Bildzitat muss erkennbar der Auseinandersetzung mit dem übernommenen Werk dienen, etwa als Beleg oder Hilfsmittel der eigenen Darstellung. Es muss eine innere Verbindung zwischen dem eigenen und dem fremden Werk hergestellt werden. Nach der gebotenen Interessenabwägung lag wegen der Ausübung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung durch die Beklagte daher ein besonderer Zweck vor, der die Veröffentlichung des Werks des Klägers nach der Generalklausel des § 42f UrhG als Zitat rechtfertigt.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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