OLG Wien-Entscheidung vom 24.4.2025, 33 R 55/25p

 

Sachverhalt:

Der Kläger, ein ehemaliger Politiker, heute Polit-Analyst, Kolumnist, Unternehmer und Mitglied des ORF-Stiftungsrats, sah sich durch zwei Artikel in einer Tageszeitung und deren Onlineausgabe in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt.

Diese Artikel berichteten über Chat-Nachrichten aus dem Jahr 2018, in denen er sich an den damaligen Vizekanzler und den damaligen Justizminister wandte, um zu erreichen, dass er seine Strafe nicht in einer Justizanstalt, sondern im elektronisch überwachten Hausarrest mittels Fußfessel verbüßen könne.

Der Kläger war zuvor wegen Betrugs und Untreue zu 24 Monaten Haft verurteilt worden, acht Monate davon unbedingt. Um eine Fußfessel sollte er frühestens nach vier Monaten ansuchen können.

Der Kläger argumentierte, die Berichterstattung erwecke fälschlich den Eindruck, er habe versucht, gänzlich einer Haftstrafe zu entgehen. Damit werde ihm ein strafbares oder jedenfalls unehrenhaftes Verhalten unterstellt. Er verlangte daher Unterlassung und Widerruf.

Die Beklagte, Medieninhaberin der Zeitung und der Website, hielt dem entgegen, die Berichterstattung sei wahr, entspreche den Chats und sei von öffentlichem Interesse, zumal der Kläger weiterhin eine Person des öffentlichen Lebens sei.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das OLG Wien bestätigte das erstinstanzliche Urteil und wies die Berufung ab. Es stellte klar, dass die Artikel den Inhalt der Chats zutreffend wiedergaben. Der Kläger habe nicht bestritten, sich an hochrangige Politiker gewandt zu haben, um den Vollzug seiner Freiheitsstrafe in einer Haftanstalt zu vermeiden. Aus Sicht eines durchschnittlichen Lesers sei der Begriff „Haftstrafe“ eindeutig auf den Vollzug in einer Justizanstalt zu beziehen und nicht auf den elektronisch überwachten Hausarrest. Damit liege ein wahrer Tatsachenkern vor, sodass kein Unterlassungsanspruch wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen nach § 1330 Abs 2 ABGB gegeben sei.

Auch eine Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB oder ein Eingriff in die Privatsphäre nach § 1328a ABGB verneinte das Gericht. Bei der gebotenen Abwägung überwog das öffentliche Informationsinteresse. Der Kläger sei trotz politischem Rückzug weiterhin eine Person von öffentlichem Interesse, sowohl durch seine Rolle als Polit-Analyst und Kolumnist als auch durch seine Bestellung in den Stiftungsrat. Gerade weil er in dieser Funktion selbst im öffentlichen Diskurs stehe, habe die Presse ein legitimes Interesse an der Berichterstattung über sein Verhalten.

Die Artikel seien sachlich, auf überprüfbare Tatsachen gestützt und überschritten nicht die Grenzen einer fairen Auseinandersetzung. Auch die Passage, wonach die strafrechtliche Relevanz der Chats noch geprüft werde, sei zulässig, da die Tatsachengrundlage offengelegt und die Äußerung als Wertung erkennbar sei.

Das OLG Wien wies die Berufung daher als unbegründet zurück.

 

 Link zur Entscheidung

 

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