OGH-Entscheidung vom 25.6.2024, 4 Ob 35/24m
Sachverhalt:
Die Erstbeklagte ist Inhaberin eines österreichischen Patents betreffend einen Zweitakt-Verbrennungsmotor. Sie brachte gegen die (hier) Klägerin beim Handelsgericht Wien eine Klage ein, mit der sie der Klägerin eine Verletzung ihres Patents bei deren Produktion und Vertrieb von Motorrädern vorwirft.
In der Tiroler Tageszeitung erschien ein Artikel, in dem darüber berichtet wurde, dass die Beklagten eine Patentklage gegen den Motorradhersteller [die Klägerin] eingereicht haben. Die Beklagten würden der Klägerin vorwerfen, in bestimmten Zweitaktmotoren, die in zahlreichen Motorrädern der Konzernmarken der Klägerin verbaut sind, ein von der Erstbeklagten patentiertes und geschütztes Einspritzsystem zu verwenden, mit dem schädliche Abgase verringert werden. Es gehe um mehr als 180.000 Motoren, in denen die Klägerin das patentierte Einspritzsystem verwenden würde. Eine außergerichtliche Einigung sei gescheitert. Übliche Lizenzzahlungen in solchen Fällen lägen bei rund 80 EUR je Motor. Insgesamt gehe es um einen höheren einstelligen Millionenbetrag.
Über die Klagseinbringung berichteten auch die Kronen-Zeitung und ORF.at, dieses unter Verweis auf den Artikel in der Tiroler Tageszeitung.
Die Klägerin klagte auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Den Beklagten solle es verboten werden, diese unwahren Tatsachenbehauptungen zu verbreiten. Der Vorwurf der Patentverletzung sei unrichtig. Die Behauptungen seien geeignet, ihren guten Ruf und Kredit als innovatives Unternehmen und Technologieführer zu schädigen.
Entscheidung:
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es nahm als bescheinigt an, dass der Drittbeklagte nicht aktiv an die Medien herangetreten sei, sondern von einem Journalisten kontaktiert worden sei, der „bereits bestens informiert“ gewesen sei. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Der OGH gab dem Revisionsrekurs ebenfalls nicht Folge.
Der OGH bezweifelte zwar nicht, dass unwahre Behauptungen, wonach ein Unternehmen bei der Produktion und dem Vertrieb seiner Produkte fremde Patente verletze und mit eigenen Anmeldungen scheitere, grundsätzlich geeignet sind, dessen Kredit zu schädigen.
Die Beklagten haben jene Behauptungen auch (sinngemäß) in ihrer Patentverletzungsklage aufgestellt. Prozessbehauptungen, die in Ausübung eines Rechts aufgestellt werden, sind jedoch im Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege gerechtfertigt. Ein Anspruch nach § 7 UWG bzw § 1330 ABGB besteht nach ständiger Rechtsprechung nur, wenn sie wider besseren Wissens erhoben werden. Das Recht, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, darf nicht mit einer Verantwortlichkeit nach § 1330 ABGB für die Rechtsverfolgung bzw -verteidigung belastet werden.
Die Beweislast für die Kenntnis der Unwahrheit und den Vorsatz des Täters trifft den Kläger. Dass die Beklagten die Patentverletzungsklage wider besseres Wissen eingebracht hätten, wurde von der Klägerin jedoch nie behauptet. Die Beklagten können mangels Vorsatzes für die im Patentverletzungsverfahren aufgestellten Behauptungen sohin nicht nach § 7 UWG bzw § 1330 ABGB in Anspruch genommen werden.
Gerechtfertigt ist Vorbringen jedoch bloß dann, wenn es nicht nur zeitlich aus Anlass bzw im Rahmen eines Verfahrens erstattet wird, sondern auch einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand aufweist. Der Rechtfertigungsgrund steht dann nicht mehr zur Verfügung, wenn der Anzeiger die in die Ehre des anderen eingreifenden Behauptungen öffentlich wiederholt, etwa in Presseaussendungen und -konferenzen, in Zeitungsinterviews, durch Weiterleitung an Medienvertreter oder als Posting.
Eine Weitergabe der Klage an die Medien war nicht bescheinigt. Die Klägerin wollte die Haftung der Beklagten für die Behauptung der Patentverletzung vielmehr aus dem vom Geschäftsführer gewährten Interview und dessen Einstehenmüssen für den Inhalt der Veröffentlichung ableiten.
Nach Ansicht des OGH kann in einem Interview eine Verbreitungshandlung liegen: Wer im Rahmen eines von ihm einem Journalisten gewährten Interviews unwahre, kreditschädigende Tatsachenbehauptungen über einen Dritten aufstellt, hat diese auch in Ansehung der Veröffentlichung des Interviews im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB „verbreitet“, ist doch die Veröffentlichung in aller Regel gerade dessen Zweck; der Mitteilende ist daher in Ansehung der Verbreitung in einer Zeitschrift zumindest Mittäter. Die Wiederholung von kreditschädigenden Prozessbehauptungen in einem Interview ist grundsätzlich nicht durch das öffentliche Interesse an einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt.
Der Klägerin wurde auch zugestanden, dass der Geschäftsführer der Erstbeklagten den Vorwurf der Patentverletzung im Interview bekräftige.
Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung erfasst § 7 UWG jede (unwahre) Tatsachenbehauptung über geschäftliche Verhältnisse, die zu einem Schaden für den Kredit oder den Betrieb des davon Betroffenen führen kann. Ein Werturteil – also eine Äußerung, die sich als Ausdruck der subjektiven Meinung darstellt – begründet hingegen keinen Anspruch nach § 7 UWG (so jüngst in dieser OGH-Entscheidung).
Rechtsfolgenbehauptungen können je nach Lage des Falles Tatsachenbehauptungen oder auch reine Werturteile sein. Je weniger die zu beurteilende Rechtsfolgenbehauptung nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen ist, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruht, je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden, und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher wird ein reines Werturteil vorliegen.
In zwei Entscheidungen (HIER und HIER) qualifizierte der OGH Schutzrechtsverwarnungen, in denen der Sachverhalt richtig dargestellt worden und lediglich die Subsumtion strittig war, als bloße Werturteile. Dies müsse auch im vorliegenden Fall gelten. Ein Wertungsexzess wurde vom OGH verneint.
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