OGH-Entscheidung vom 17.10.2023, 4 Ob 13/23z

 

Sachverhalt:

Die Klägerin betreibt eine Supermarktkette. Der Beklagte ist ein Verein mit dem Ziel der Verhinderung bzw Verringerung von Tiermissbrauch und Tierausbeutung. Er kritisiert insbesondere die Schweinehaltung mit Vollspaltenböden. Die Klägerin verkauft unter Verwendung eines bekannten Gütesiegels regelmäßig stark vergünstigtes Schweinefleisch. Der Beklagte deckte in den letzten Jahren zahlreiche Schweinebetriebe mit dem verwendeten Gütesiegel auf, in denen katastrophale Zustände herrschten. Im Sommer 2022 organisierte der Beklagte Demonstrationen vor mehreren Filialen der Klägerin gegen Schweinehaltung auf Vollspaltenböden. Bei den dort verteilten Flyern sowie auf Transparenten wurde das Unternehmenskennzeichen der Klägerin vom Beklagten derart abgeändert, dass der rote Balken bluttriefend dargestellt, das grüne Tannensymbol auf ein „T“ abgeändert wurde und das so veränderte Logo mit hinzugesetzten Sprüchen zu lesen war als „SPAR T euch die Vollspaltenboden-Tierquälerei!“ und „SPAR T euch das!“:

Ebenso veröffentlichte der Beklagte eine Presseaussendung, in der von der Klägerin u.a. der Ausstieg aus Schweinefleisch von Vollspaltenboden-Haltung gefordert wurde.

Die Klägerin klagte (u.a.) auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Vom Beklagten werde suggeriert, dass die Klägerin für Tierquälerei hauptverantwortlich sei. Es handle sich um ehrenbeleidigende und kreditschädigende Behauptungen, die die Tatbestände des § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB erfüllten. Auch der Unterlassungsanspruch nach § 7 UWG bestehe zu Recht. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung

Der OGH befand den Revisionsrekurs des Beklagten zur Klarstellung der Rechtslage im Zusammenhang mit der freien Meinungsäußerung hingegen für zulässig und teilweise berechtigt:

Dem Beklagten könne es nicht generell verboten werden, eine Verantwortung der Klägerin bzw einen Zusammenhang zwischen dieser und den Missständen in der Schweinehaltung durch Vollspaltenböden zu äußern. Bescheinigt ist, dass die Klägerin überwiegend Schweinefleisch aus konventioneller Herstellung (Vollspaltenboden) vertreibt. Soweit der Beklagte daher allgemein den Zusammenhang zwischen dem Lebensmittelhandel der Klägerin und der Schweinezucht herstellt, liegen keine falsche Tatsachenbehauptungen nach § 1330 Abs 2 ABGB vor. Die Klägerin, die über eine bedeutende Marktmacht verfügt, habe es in der Hand, vermehrt jene Produkte anzubieten, die nach höheren Tierwohlstandards erzeugt werden.

Der verständige und unbefangene Adressat der Äußerungen des Beklagten wird Aussagen wie „Der Lebensmittelhandel beeinflusst die österreichische Landwirtschaft massiv…“ oder „Der Lebensmitteleinzelhandel spielt für die Tierwohlqualität in der Schweinehaltung eine entscheidende Rolle…nicht in dem Sinn interpretieren, dass die Klägerin tatsächlich Tiere quält, sondern dass sie durch den (überwiegenden) Verkauf von Schweinefleisch aus Vollspaltenbodenhaltung einen (wesentlichen) Beitrag zu vermehrtem Tierleid leistet. Diese Äußerungen sind als Teil einer politischen Diskussion über Tierschutz zu sehen. Für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses billigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Vertragsstaaten nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu.

Im Gesamtzusammenhang sei keine der Äußerungen des Beklagten dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin selbst Tiere in der dargestellten Form halten würde. In den Äußerungen des Beklagten liegt insofern also keine Tatsachenbehauptung, die Klägerin wäre selbst unmittelbar als Tierhalterin für die dargestellten Missstände verantwortlich. Vielmehr liegt darin insgesamt der Vorwurf, die Klägerin sei für das berichtete Tierleid mitverantwortlich. Diese „Verantwortung“ ist aber keiner objektiven Wahrheitsüberprüfung zugänglich, sondern ein Werturteil über die Verantwortlichkeit eines Beteiligten innerhalb einer Absatzkette für mit den vertriebenen Produkten in Zusammenhang stehende Um- bzw Missstände. Es besteht im Sinne des Rechts auf freie Meinungsäußerung in dieser Angelegenheit von öffentlichem Interesse ein zumindest diesbezüglich ausreichendes Tatsachensubstrat für das Werturteil des Beklagten, die Klägerin, die solche Produkte anbietet, trage eine Verantwortung für diese Umstände. Auch die gewählte Form der Darstellung mit „Schockbildern“ ändert an diesem Ergebnis nichts, schützt die Meinungsfreiheit doch auch schockierende Äußerungen. Dem Beklagten ist insoweit kein Wertungsexzess anzulasten. Es ist dem Beklagten auch nicht verwehrt, nur an der Klägerin Kritik zu äußern. Es besteht keine Pflicht, sämtliche Akteure vollständig zu nennen.

Die Verwendung von Layout und Logo der Klägerin erfolgt im konkreten Fall als Bezugnahme auf die unternehmerische Tätigkeit und das Produktangebot der Klägerin im Zusammenhang mit der Kritik des Beklagten. Dabei wurden die Unternehmenskennzeichen im Ergebnis parodiert, und zwar in einer Weise, die es dem durchschnittlichen Betrachter auch deutlich erkennbar macht, dass es sich etwa um keinen Flyer der Klägerin selbst, sondern um die Kritik des Beklagten handelt. Somit schlägt auch hier die Interessenabwägung zu Gunsten der Meinungsäußerungsfreiheit des Beklagten aus.

Dem Beklagten wurde es jedoch auch vom OGH verboten, Behauptungen zu verbreiten, wonach die Klägerin nicht bereit sei, eine Verbesserung in der Schweinehaltung voranzutreiben, als Lebensmittelhändler bekannt sei, der die Entwicklung zu mehr Tierwohl bremse und einer der größten Bremser in Richtung verbesserter Tierhaltung wäre.

 

Link zum Entscheidungstext

 

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