OGH-Entscheidung vom 20.3.2024, 6 Ob 39/24i

 

Sachverhalt:

Die Klägerin führt einen Fiakerbetrieb. Der beklagte Verein verbreitete einen Folder mit dem Titel „FIAKER-FAKTEN“, der sich inhaltlich gegen die Tätigkeit von Fiakerunternehmen in drei österreichischen Städten, nämlich Wien, Innsbruck und Salzburg aussprach und über das Leid der Pferde in der „Großstadt“ berichtete. Demnach würden oft Unfälle mit Fiakern passieren und es solle vom Betrieb und der Nutzung von Fiakern aus Gründen des Tierschutzes Abstand genommen werden. Der Folder berichtete auch darüber, dass nur mehr in drei Städten als „einzigen Städte[n] in Österreich“ die Besichtigung mittels Fiaker möglich sei. Die Anzahl der Unternehmungen in diesen drei Städten wurde neben der bildlichen Darstellung einer Großstadt (Wolkenkratzer) genannt. Dort befänden sich „Menschenmassen“ und es käme „immer wieder zu Unfällen“, die „manchmal leider sogar mit schweren bis tödlichen Verletzungen von Menschen […] enden“.

Die Klägerin klagte auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Der OGH wies die Revision des Vereins zurück.

Voraussetzung der Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung des § 1330 ABGB ist ein hinreichender Bezug des Äußerungsinhalts zu einer bestimmten Person, dem Betroffenen. Für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen ist die Namensnennung nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn die Identifizierbarkeit nur für einige mit dem Betroffenen im Kontakt stehende Personen besteht (siehe DIESE Entscheidung). Die Klägerin war daher aktivlegitimiert, auch wenn der Folder nur generell auf „Fiakerbetriebe“ in Wien, Innsbruck und Salzburg Bezug nahm, ohne sich namentlich konkret auf die Klägerin zu beziehen.

Für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses – wie hier des Tierschutzes – billigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Vertragsstaaten nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu. Ein Eingriff darf nur erfolgen, wenn er im Sinne von Art 10 Abs 2 EMRK „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war oder doch verhältnismäßig ist und einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht (siehe HIER und HIER im Blog). Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze befand der OGH die Interessensabwägung zu Gunsten der Klägerin durch die Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig.

Für das angesprochene Publikum geht es bei der konkreten Aussage nicht um die Äußerung einer Wertung im Sinne einer Schlussfolgerung oder Haltung des Beklagten, sondern um ein Tatsachengeschehen. Die Frage, ob überhaupt, wo und wie oft „Unfälle mit Fiakern“ mit welchen Verletzungen für Menschen (hier: tödlich) enden, ist kein „Wert“-Urteil. (Die Unterlassung der Äußerung, es solle vom Betrieb und der Nutzung von Fiakern aus Gründen des Tierschutzes Abstand genommen werden, wollte die Klägerin auch gar nicht erwirken.)

Fraglich ist die richtige oder falsche Darstellung von Fakten als Ausgangsbasis für das darauf aufbauende (Un-)Werturteil. Auch (gesellschafts-)politischer Protest und die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen es selbst bei starkem öffentlichem Interesse an der Verbreitung von Informationen über das „Umwelt- und Tierschutzthema“ nicht, unrichtige Tatsachen zu verbreiten.

Durch den Titel „FIAKER-FAKTEN“, muss sich der Folder bei den Aussagen zu diesen Fakten auch an diesem Maßstab (dem Tatsächlichen) messen lassen. Zwei Fiakerunfälle mit Todesfolgen im Bezirk Zwettl und in Bad Ischl können nicht in den ausdrücklich genannten Städten Wien, Innsbruck und Salzburg passiert sein. Diese Unfälle stehen nicht in Zusammenhang mit dem Leid der Pferde in der „Großstadt“.

Dem Beklagten werde mit der Entscheidung auch keine Kritik im Zusammenhang mit dem Tierschutz-Thema von Fiakerpferden in Städten verunmöglicht, da der Beklagte seine Meinung – auf Basis zutreffender Fakten – weiter äußern darf.

 

 

Link zur Entscheidung

 

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