OGH-Entscheidung vom 25.1.2023, 6 Ob 216/22s

 

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine politische Partei. Die Beklagte ist Medieninhaberin einer Website.

Im Zuge eines Untersuchungsausschusses war die Klägerin durch eine Abgeordnete zum Nationalrat vertreten. Diese regte die Einvernahme einer bestimmten Person als Auskunftsperson an. Nach Zustellung der Ladung, aber vor deren Einvernahme kam es zu einem Treffen mit der Auskunftsperson in den Räumlichkeiten der Klägerin. Die Beklagte berichtete darüber auf ihrer Webseite. Unter anderem berichtete sie, dass sich die Auskunftsperson mit drei politischen Parteien (darunter die Klägerin) „vorab abgesprochen“ und die Auskunftsperson das persönliche Treffen „gestanden“ habe. Die Beklagte habe WhatsApp Chatprotokolle auf dem Handy der Auskunftsperson gezeigt bekommen.

Die Klägerin begehrt die Unterlassung und den Widerruf dieser Behauptungen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab, da sich die Äußerung im Kern als wahr erwies. Das Berufungsgericht gab der Klage wiederum statt. Der OGH gab der Revision der Beklagten Folge und hob das Urteil auf.

Untersuchungsausschüsse haben einen politischen Auftrag des Nationalrats zu erfüllen. Sie sollen tatsächliche Verhältnisse und Vorkommnisse in Bezug auf einen bestimmten abgeschlossenen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes untersuchen. Dazu können auch Auskunftspersonen angehört werden, die unter Wahrheitspflicht stehen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist zwar nicht mit einem Gerichtsverfahren, gleichzusetzen. Wesensähnlichkeit besteht aber darin, dass das „zu-Tage-fördern“ von tatsächlichen Vorgängen durch ein regelförmig ablaufendes Verfahren bezweckt ist.

Für die Bewertung des Ablaufs und der Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses durch die Öffentlichkeit spielt deren Kenntnis vom Grad der Vorbereitung zwischen den Auskunftspersonen und den Mitgliedern der im Untersuchungsausschuss vertretenen politischen Parteien eine große Rolle. Nur dann kann eingeschätzt werden, ob Fragen und Antworten im Untersuchungsausschuss ein „authentisches“ Ergebnis sind. Es besteht daher ein hohes Bedürfnis der Öffentlichkeit, über Absprachen oder ähnliche Vorgänge informiert zu werden. Insoweit befand sich die Beklagte bei ihrer Berichterstattung in der Rolle eines „public watchdog“ (Wächterfunktion der Medien). Sie durfte auch – soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt – im Rahmen der Ausübung der Meinungsfreiheit wertende Kritik üben.

Die Interessenabwägung muss regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegensprechen. Solche „überwiegenden Gründe“ liegen hier aber nicht vor. Der Wahrheitsbeweis ist als erbracht anzusehen, wenn er den Inhalt der Mitteilung im Wesentlichen bestätigt; es genügt der Beweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns. Dieser Tatsachenkern wäre hier gegeben, wenn nicht nur das Treffen an sich stattgefunden hat, sondern dieses (auch) die bevorstehende Aussage der Auskunftsperson zum Gegenstand und Zweck hatte.

Es wird vom Berufungsgericht jedoch noch zu ermitteln sein, in welcher Bedeutung die Formulierung „sich absprechen“ hier verwendet wurde und ob sich die Beklagte die negativste Bedeutung (im Sinn eines strafrechtlich relevanten Verhaltens) zurechnen lassen muss.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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