OGH-Entscheidung vom 23.2.2022, 4 Ob 141/21w

 

Sachverhalt:

Die Klägerin betreibt ein Theater. Jegliche Foto-, Bild-, Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellungen sind untersagt. Mit Medienunternehmen werden jedoch Verträge abgeschlossen, in denen die Klägerin das Recht zur Bildberichterstattung an ihren Theateraufführungen einräumt und hierfür Lizenzgebühren erhält.

Die Beklagte ist Medieninhaberin einer Tageszeitung sowie einer zugehörigen Website. An mehreren Tagen veröffentlichte sie diverses Bildmaterial eines nicht genehmigten Live-Mitschnittes einer Premierenvorstellung, bei der sexuelle Freizügigkeit auf der Bühne gezeigt wurde. Der Mitschnitt sowie daraus erstellte Standbilder und Videobeiträge wurden auch an Dritte weitergegeben. Die Beklagten zahlten nach eigenem Ermessen 120 EUR an die Klägerin.

Die Klägerin klagte auf Unterlassung, Löschung des Bildmaterials, Auskunft über die Quelle und Empfänger der Mitschnitte, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung.

Die Beklagten boten einen Teilvergleich an, beriefen sich im Übrigen jedoch auf das Redaktionsgeheimnis nach § 31 MedienG, weshalb sie nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet seien. Angemessenen Schadenersatz hätten sie bereits bezahlt.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht fasste über das Auskunftsbegehren und über das Rechnungslegungsbegehren ein klagsstattgebendes Teilurteil. Das Berufungsgericht wies das Auskunftsbegehren über Empfänger der Ausschnitte wiederum ab.

Der OGH führte zum Auskunftsanspruch aus, dass die Frage zu klären sei, ob das Redaktionsgeheimnis nach § 31 MedienG einem materiell-rechtlichen Anspruch auf Auskunft entgegensteht. Es sei bereits geklärt, dass eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis auch dem materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG entgegengehalten werden kann. Eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis ist demnach auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereichs des § 31 Abs 1 MedienG möglich. Der OGH hat zum Anwendungsbereich des § 31 Abs 1 MedienG im Zusammenhang mit einem materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch bereits ausgesprochen, dass Informationen, die eine der in dieser Bestimmung genannten Personen gewinnt, ohne dass sie dieser im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem bewusst zugänglich gemacht wurden, nicht als vom Redaktionsgeheimnis geschützte Mitteilungen zu qualifizieren sind. Dem entspricht die Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 EMRK, dass der Schutz journalistischer Quellen eine der Grundvoraussetzungen der Pressefreiheit ist. Die wesentliche Funktion der Presse als „public watchdog“ könnte sonst untergraben werden. Eine verfassungskonforme Interpretation des § 31 MedienG gebiete es daher, die Anwendung dieser Bestimmung bei einem materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch nur dann auszuschließen, wenn unter den besonderen Umständen des Falls kein Erfordernis daran überwiegt, dass ein Medium seiner Aufgabe, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren und von ihm journalistisch erlangte Informationen im Sinne des Quellen- und Informantenschutzes nicht preisgeben zu müssen. Dies stehe auch mit § 87b Abs 2 UrhG im Einklang, welcher eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anordnet.

Der OGH erachtete es daher als geboten, die Interessen der Klägerin und das den Beklagten zugute kommende, auf Art 10 EMRK fußende öffentliche Interesse gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung fiel letztlich zu Lasten der Klägerin aus: Dieser war zwar zuzugestehen, dass mit der unerlaubten Herstellung von Videos in ihr Grundrecht auf Eigentum eingegriffen wurde und damit ihr legitimes Interesse am Schutz ihres geistigen Eigentums zu berücksichtigen ist. Die Bekanntgabe des unmittelbaren Herstellers würde ihr es ermöglichen, ihr zustehende Ansprüche zu verfolgen und auch eine weitere Verbreitung des Materials zu unterbinden, was ohne die begehrte Auskunft offenkundig ungleich schwieriger ist. Ebenso stellen die – ohne Zustimmung der auf der Bühne Agierenden – angefertigten heimlichen Aufzeichnung von auf der Bühne gezeigten sexuellen Handlungen sowie deren Wiedergabe und Abbildung ein schwerwiegender Eingriff in das Recht der Akteure nach § 78 UrhG dar.

Dem steht primär der Umstand gegenüber, dass die Beklagten über das Theaterstück der Klägerin journalistisch berichteten und dies mit den illegal angefertigten Videoausschnitten und daraus hergestellten Bearbeitungen und Fotoausschnitten illustrierten. Es kommt daher die grundsätzliche Bedeutung des journalistischen Quellenschutzes zum Tragen, der auch nicht relativiert wird, wenn die konkrete Berichterstattung reißerisch und auf bloße Neugier und Sensationslust eines Teils des Publikums spekulierend gestaltet ist.

In seiner Gesamtabwägung gelangte der OGH zur Ansicht, dass das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung von journalistischen Quellen im vorliegenden Einzelfall das Auskunftsinteresse der Klägerin überwiegt. Das Begehren der Klägerin, von den Beklagten Namen und Anschrift des unmittelbaren Herstellers des Videos ihrer Aufführung zu erfahren, war daher nicht berechtigt.

Das Rechnungslegungsbegehren war jedoch berechtigt. Der Anspruch nach § 86 UrhG ist ein bereicherungsrechtlicher Verwendungsanspruch iSd § 1041 ABGB, für dessen Bemessung von der Entgelthöhe bei im Voraus eingeholter Werknutzungsbewilligung auszugehen ist; dabei ist letztlich darauf abzustellen, was redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten, und damit darauf, welche Nutzung tatsächlich erfolgt. Auf die Frage der Zumutbarkeit kommt es nicht an. Von einer Erfüllung der Ansprüche (durch „freiwillige“ Zahlung von EUR 120) und damit einem Wegfall des Rechnungslegungsanspruchs könne keine Rede sein.

Zusammengefasst wies der OGH das Auskunftsbegehren zur Gänze ab, die Verpflichtung der Beklagten zur Rechnungslegung bestätigte er aber.

 

 

 

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