OGH-Entscheidung vom 15.3.2023, 3 Ob 233/22v

 

Sachverhalt:

Die Republik Österreich verteilt durch die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung die Mittel zur Presseförderung nach dem PresseFG.

Die Klägerin ist seit September 2006 Herausgeberin und Verlegerin einer Tageszeitung, die von Anfang an überwiegend als Gratiszeitung vertrieben wurde. Seit Juni 2018 werden die Gratiszeitung und die Kaufzeitung unter verschiedenen Titeln vertrieben. Ab diesem Zeitpunkt meldete die Klägerin beide Titel getrennt an die Österreichische Auflagenkontrolle (ÖAK) und die Daten wurden seither von der ARGE Media Analyse getrennt erhoben und getrennt ausgewiesen. Die Gratiszeitung finanziert sich ausschließlich aus Werbeeinschaltungen, die Kaufzeitung aus dem Verkauf und den Anzeigen. Die betrieblichen Ausgaben überstiegen im Jahr 2019 die Umsatzerlöse aus dem Zeitungs- und Anzeigenvertrieb.

Im Jahr 2020 suchte die Klägerin um Vertriebsförderung und um Besondere Förderung nach dem PresseFG für die Tageszeitung an. Die Mitarbeiter der KommAustria prüften bei allen zwölf im Jahr 2020 gestellten Förderansuchen (darunter jenem der Klägerin) das Vorliegen der Fördervoraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 und Abs 7 PresseFG. Alle Förderwerber mit Ausnahme der Klägerin erhielten Mittel aus der Presseförderung zugewiesen. Das Förderansuchen der Klägerin wurde von der KommAustria abgelehnt.

Die Klägerin begehrte in weiterer Folge vor Gericht den Betrag von EUR 1.060.065,80 mit dem wesentlichen Vorbringen, die KommAustria habe ihr Förderansuchen zu Unrecht abgelehnt. Beim PresseFG handle es sich um ein Selbstbindungsgesetz, weshalb einem Förderwerber bei im Kern gleichen Voraussetzungen nicht etwas verweigert werden dürfe, was anderen gewährt werde.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren wiederum ab. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Beim PresseFG handelt es sich um ein Selbstbindungsgesetz. Der Bund ist insbesondere an das aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot gebunden. Werden daher Subventionen bei Vorliegen bestimmter typischer Voraussetzungen gewährt, darf davon nur aus besonderen, sachlichen, am Förderungszweck orientierten Gründen abgegangen werden. Im Fall einer willkürlichen Weigerung steht dem Benachteiligten ein direkter Leistungsanspruch zu.

Gemäß § 1 Abs 1 PresseFG unterstützt der Bund die österreichischen Tages- und Wochenzeitungen durch finanzielle Zuwendungen, um die Vielfalt der Presse in Österreich zu fördern. Um eine Förderung zu erhalten, müssen Tageszeitungen gemäß § 2 Abs 1 Z 2 PresseFG unter anderem zumindest 240mal jährlich erscheinen und der Großteil der Auflage muss in Österreich, vorwiegend im freien Verkauf oder im Abonnementbezug, erhältlich sein. Den Förderrichtlinien der Beklagten zufolge bedeutet die Formulierung „vorwiegend im freien Verkauf oder Abonnementbezug“, dass der Anteil der unentgeltlich verbreiteten Auflage an der verbreiteten Auflage jedenfalls weniger als 50 % betragen muss.

Gemäß § 2 Abs 7 PresseFG sind Kopfblätter, Mutationen sowie andere Druckschriften, die von demselben Verleger unter dem gleichen Namen oder unter einem nur durch eine regionale Bezeichnung abweichenden Namen herausgebracht oder überwiegend von derselben Redaktion gestaltet werden, nicht gesondert zu fördern, sondern sind dem Stammblatt zuzurechnen. Die Gratiszeitung ist zwar jedenfalls eine „andere Druckschrift“, aber weil sie nahezu gänzlich aus von der Kaufzeitung übernommenen Artikeln besteht, wird sie im Ergebnis „überwiegend von derselben Redaktion gestaltet“. Demnach ist die Gratiszeitung gemäß § 2 Abs 7 letzter Halbsatz PresseFG „dem Stammblatt zuzurechnen“.

Welche rechtliche Folge diese „Zurechnung“ hat, ist dem Gesetzestext nicht unmittelbar zu entnehmen. Die KommAustria hat die im letzten Halbsatz des § 2 Abs 7 PresseFG angeordnete „Zurechnung zum Stammblatt“ so interpretiert, dass die verbreitete Auflage der Gratiszeitung bei der iSd § 2 Abs 1 Z 2 PresseFG vorzunehmenden Beurteilung, ob die Tageszeitung überwiegend als Kaufzeitung vertrieben wird, zu berücksichtigen ist. Diese Vorgangsweise erachtete der OGH als jedenfalls vertretbar und keineswegs willkürlich. Die Abweisung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht war daher berechtigt.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema Tageszeitungen:

„Billigzeitung veranstaltet Impflotterie“: Unlautere Herabsetzung oder Freiheit der Meinungsäußerung?

„0,03 % Marktanteil […] Kein Wunder, dass die Eigentümer abdrehen wollen“ – Liegt unlautere Herabsetzung eines Unternehmens vor?

Reichweitenwerbung: 27% sind ein Drittel? Irreführung durch Blickfang.

Irreführende Werbung mit Daten der Media-Analyse: Nur Vergleichbares darf in Beziehung gesetzt werden

Werbung mit Reichweitenvergleich: Nur tatsächlich auf dem Markt existierende Produkte müssen miteinbezogen werden

„Vorteilswelt“ für Abonnenten einer Tageszeitung nicht unlauter, selbst wenn Abo-Kosten die Ersparnis übersteigen

Irreführende Werbung einer Tageszeitung mit Auflagezahlen (Spitzenstellungsbehauptung)

Eigenwerbung einer Tageszeitung: Zustimmungslose Verwendung von Bildern prominenter Sportler ist unlauter

EuGH: Ist Video-Website einer Tageszeitung ein audiovisueller Mediendienst?

Berichte/Fotos im Online-Archiv einer Tageszeitung können trotz zulässiger Erstveröffentlichung berechtigte Interessen verletzen

„Titelseite“ der Sonntagsausgabe einer Tageszeitung ist nicht die erste Seite des Hochglanzumschlags

Spitzenstellungswerbung „Image der Tageszeitungen“

oe24.tv ist „die Nr 1 bei News“? Unzutreffende Spitzenstellungswerbung