OGH-Entscheidung vom 21.2.2024, 6 Ob 236/23h

 

Sachverhalt:

Die Beklagten sind Medieninhaberinnen einer Tageszeitung inkl. Onlineportal. Sie haben ihren Sitz nicht im Sprengel des Erstgerichts.

Der Kläger, der im Sprengel des Erstgerichts wohnt, begehrte aufgrund von Veröffentlichungen der Beklagten in ihren Bundesland-Ausgaben u.a. die Beseitigung und Löschung von Foto und Begleittext, die Unterlassung weiterer Rechtsverletzungen sowie die Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 10.000 EUR. Der Kläger stützte sich neben den zivilrechtlichen Grundlagen der §§ 81 ff UrhG, §§ 16, 20, 43, 1330 ABGB auch auf das Datenschutzgesetz (§§ 1, 2 DSG iVm Art 17, 82 DSGVO).

Im Verfahren war die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts fraglich. Die Beklagten wendeten örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht sprach seine örtliche Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Das Rekursgericht verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. § 29 Abs 2 DSG verdränge den Zuständigkeitstatbestand des § 83c JN. Der Kläger könne danach das Landesgericht anrufen, in dessen Sprengel er seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz habe.

Der OGH befand den Revisionsrekurs der Beklagten für zulässig und im Verfahren gegen die erstbeklagte Partei berechtigt. Im Verfahren gegen die zweitbeklagte Partei jedoch nicht berechtigt.

Zu den in Betracht kommenden Gerichtsständen führte der OGH aus:

Im Hinblick auf § 29 Abs 2 DSG kam der OGH zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Zuständigkeit nach dieser Bestimmung nicht für sich in Anspruch nehmen kann: Nach § 29 Abs 2 DSG ist für Klagen auf Schadenersatz in erster Instanz das mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen betraute Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat. Klagen können aber auch bei dem Landesgericht erhoben werden, in dessen Sprengel der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz oder eine Niederlassung hat (§ 29 Abs 2 DSG). Das Medienprivileg in § 9 Abs 1 DSG nimmt Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Sinne des Mediengesetzes ganz pauschal von fast allen Bestimmungen der DSGVO aus, soweit sie Daten zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes verarbeiten. Das Medienprivileg nach § 9 Abs 1 DSG bewirkt damit, dass die im Datenschutzgesetz verankerte Norm über die Zuständigkeit gemäß § 29 Abs 2 DSG in einem Verfahren gegen eine Medieninhaberin keine Anwendung findet. Der Verfassungsgerichtshof hat § 9 Abs 1 DSG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit 30.6.2024 in Kraft tritt. Bis dahin ist § 9 Abs 1 DSG anzuwenden. Die Frage, ob das Medienprivileg (auch) unionsrechtswidrig ist, werde aber erst im Hauptverfahren zu klären sein.

Im Zwischenstreit über die örtliche Zuständigkeit war allein maßgeblich, ob eine aus § 9 Abs 1 DSG folgende Unanwendbarkeit der in § 29 Abs 2 DSG verankerten Zuständigkeitsregelung zu einem unionsrechtswidrigen Zustand führt. Der OGH verneinte dies. Der OGH erachtete im vorliegenden reinen „Binnensachverhalt“ die örtliche Zuständigkeit als ausreichend abgesichert (beide Beklagten haben ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland und auch im selben Gerichtssprengel).

Der Kläger berief sich aber auch auf die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 92b JN. Dieser neue Gerichtsstand wurde zur Verfolgung von Verletzungen eines Persönlichkeitsrechts in einem elektronischen Kommunikationsnetz geschaffen. Streitigkeiten können seither auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Erfasst sind Verletzungen von Persönlichkeitsrechten im und über das Internet, egal auf welche Art und Weise (Internetseite, WhatsApp-

Für den vorliegenden Fall war besonders zu beachten, dass der Kläger mit seiner Klage eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte verfolgt. Auch das Recht auf Datenschutz ist ein Persönlichkeitsrecht. Für die Berechtigung jedes der geltend gemachten Begehren ist die Beurteilung des Bildes samt Begleittext maßgeblich. Nach ständiger Rechtsprechung des OGH ist dann, wenn ein und derselbe Tatbestand verschiedenen Gesetzesnormen unterstellt werden kann, das angerufene Gericht zuständig, wenn es die Zuständigkeit auch nur hinsichtlich einer der anzuwendenden konkurrierenden Normen besitzt. Diese zur sachlichen Zuständigkeit ergangene Rechtsprechung kann auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Es soll der Kläger nicht gezwungen sein, auf Anspruchsgrundlagen zu verzichten, nur um einen von ihm gewünschten Gerichtsstand zu erreichen. Eine Verneinung des Wahlrechts würde ihm zudem bei nachträglicher Hinzuziehung weiterer Anspruchsgrundlagen zur Einbringung einer weiteren Klage zwingen.

Nachdem der Kläger sämtliche seiner Ansprüche auch auf sein Grundrecht auf Datenschutz und die DSGVO gestützt hat und über einen einheitlichen Sachverhalt zu entscheiden ist, genügt es, wenn die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts in Ansehung dieses Rechtsgrundes vorliegt. Entfällt die Anwendung des § 29 DSG, verbleibt dem Kläger für die Verfolgung seiner Ansprüche aus der Verletzung eines Persönlichkeitsrechts der Gerichtsstand nach § 92b JN, vorausgesetzt die Verletzung des Rechts auf Datenschutz als eine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts fand in einem elektronischen Kommunikationsnetz statt.

Die Zweitbeklagte hat das Bild samt Begleittext in einem elektronischen Kommunikationsnetz veröffentlicht (Online-). Beim Verfahren gegen die Zweitbeklagte handelt es sich also um eine Streitigkeit wegen der Verletzung eines Persönlichkeitsrechts in einem elektronischen Kommunikationsnetz. Damit ist im Verfahren gegen die Zweitbeklagte für den Rechtsgrund der behaupteten Datenschutzverletzung die Zuständigkeit nach § 92b JN gegeben. In Ansehung der Klage gegen die Zweitbeklagte (als Ganzes) ist das Erstgericht örtlich zuständig.

Im Verfahren gegen die Erstbeklagte (als Medieninhaberin der Printausgabe) mangelt es hingegen an der vom Kläger behaupteten Zuständigkeit nach § 92b JN (und auch einer solchen gemäß § 29 Abs 2 DSG). Für beide Beklagten besteht in Ansehung des § 83c Abs 1 JN die Zuständigkeit desselben Gerichts, zumal beide Unternehmen „im Sprengel“ desselben Gerichts liegen.

Der Revisionsrekurs war daher nur im Verfahren gegen die Erstbeklagte erfolgreich. Das Verfahren gegen die Zweitbeklagte ist vor dem Erstgericht weiterzuführen.

 

 

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