OGH-Entscheidung vom 8.10.2024, 10 ObS 55/24x

 

Sachverhalt:

Der Kläger fuhr mit einem E-Scooter von seiner Wohnung zu seiner Dienststelle. Er wollte seine Geschwindigkeit reduzieren und betätigte den Bremshebel. Dabei kam es zu einer leichten Verlagerung der Fahrlinie, die in Verbindung mit der feuchten Fahrbahn zum Wegrutschen des Vorderrads führte, wodurch der Kläger stürzte. Bei Benützung eines Fahrrads wäre der Kläger in dieser Situation nicht gestürzt.

Die beklagte Versicherungsanstalt erklärte, dass dieser Unfall nicht als Dienstunfall anerkannt und Leistungen gemäß §§ 88 ff B-KUVG nicht gewährt würden.

Der Kläger klagte auf Feststellung, dass die erlittenen Verletzungen Folgen eines Dienstunfalls seien, und Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Versehrtenrente. Der von ihm verwendete E-Scooter sei ein für die Zurücklegung eines Arbeitsweges übliches und zulässiges, einem Fahrrad gleichgestelltes Fortbewegungsmittel, dessen Verwendung keine besondere Geschicklichkeit oder Eignung erfordere. Da viele Dienstnehmer täglich mit E-Scootern zur Arbeit führen, seien sie auch nicht als bloßes Spiel- oder Sportgerät für Freizeitzwecke anzusehen. Abgesehen davon sei der Unfall auf die allgemeine Weggefahr zurückzuführen und nicht durch eine vom E-Scooter ausgehende spezifische Gefahr ausgelöst worden.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Zwar stehe dem Versicherten die Wahl des Verkehrsmittels bzw die Art der Fortbewegung auf Arbeitswegen grundsätzlich frei. Es sei aber eine Grenze zwischen allgemein üblichen Verkehrsmitteln auf der einen und Spiel- und Sportgeräten auf der anderen Seite zu ziehen.

Der OGH wies die Revision des Klägers zurück.

Der OGH hatte bereits im Zusammenhang mit der Verwendung eines Monowheels die Grundsätze, ob und wann das Verwenden eines Spiel- und Sportgeräts bei Zurücklegung eines Arbeitsweges Unfallversicherungsschutz genießt, dargelegt. Demnach steht dem Versicherten zwar die Wahl des Verkehrsmittels bzw die Art der Fortbewegung auf Arbeitswegen grundsätzlich frei. Bei Wegunfällen sollen nur die typischen (allgemeinen) Weggefahren und Risiken versichert sein, nicht aber jegliche mit dem Weg in irgendeinem Zusammenhang stehende andere Ereignisse und Gefahren.

Es sei zwar zutreffend, dass in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Ansichten zur Frage vertreten werden, ob ein E-Scooter ein Fahrzeug ist. Diese Einstufung ist aber nur für die Frage relevant, welchen verkehrs- und kraftfahrrechtlichen Vorschriften das Fahren und der Betrieb von E-Scootern unterliegen. Wesentlich war im vorliegenden Fall vielmehr, ob es sich um ein allgemein übliches Verkehrsmittel handelt, bei dem ein sicheres Fahren gewährleistet ist. Die Grenze des Unfallversicherungsschutzes verläuft daher nicht zwischen Spiel- und Sportgeräten und Fahrzeugen iSd StVO, sondern allgemein üblichen und anderen Verkehrs- bzw Fortbewegungsmitteln.

Dazu ergibt sich aus den Materialien zur 31. StVO-Novelle, dass der Gesetzgeber neben Einrädern (Monowheels) auch elektrisch betriebene Scooter als „Trendsportgeräte“ einstuft, deren Benutzung eine besondere Geschicklichkeit erfordert und die aufgrund ihrer technischen Eigenschaften (insbesondere im Zusammenhang mit Lenken und Bremsen) kein sicheres Fahren gewährleisten.

Das Fahren mit E-Scootern erfordert ein stetes aktives Ausbalancieren durch den Fahrer; schon ein starkes Bremsen oder das Geben von Handzeichen sind kritische Manöver und im Vergleich zu einem Fahrrad ist die Stabilität deutlich geringer ausgeprägt.

Die Gründe, die in der bisherigen OGH-Rechtsprechung dazu führten, dass mit einem Monowheel zurückgelegte Arbeitswege nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterstellt wurden, treffen auf E-Scooter daher in gleicher Weise zu.

Es mag zwar sein, dass E-Scooter im innerstädtischen (Nah-)Verkehr inzwischen öfters anzutreffen sind. Das ändert aber nichts daran, dass sie der Gesetzgeber weder als allgemein übliches noch als sicher handhabbares Verkehrsmittel ansieht. Ein sicheres Fahren ist nicht garantiert und gerade die daraus resultierende besondere Gefahr und keine allgemeine Weggefahr hat zum Unfall des Klägers geführt.

 

 

Link zur Entscheidung

 

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