OGH-Entscheidung vom 26.2.2020, 3 Ob 226/19k

 

Sachverhalt:

Auf der blauen Piste eines Schigebiets ereignete sich ein Schiunfall zwischen der Klägerin (deutsche Staatsangehörige) und dem damals acht Jahre alten Sohn des Beklagten (niederländischer Staatsangehöriger). Der Sohn des Beklagten fuhr im dritten Jahr Schi, er war im Jahr des Unfalls eine Woche im Schikurs gewesen und ein mittelmäßiger Schifahrer. Sein Schilehrer hatte dem Beklagten auf dessen Frage gesagt, dass das Kind blaue Pisten selbständig abfahren könne.

Im schwer zu befahrenden Unfallbereich befand sich eine Unterführung mit angrenzendem Steilstück. Der Sohn des Beklagten schaffte es nicht, dort stehen zu bleiben, weil er zu schnell fuhr. Er fuhr den letzten Hang zur Unterführung in Schussfahrt, machte also keine Bögen. Im Unfallbereich fuhr er von links in die Klägerin hinein.

Die Klägerin erlitt durch die Kollision einen Bruch des linken Unterschenkels. Der Klägerin entstanden Sachschäden und sie erlitt einen unfallbedingten Verdienstentgang. Sie klagte daher auf Zahlung von Schadenersatz sowie Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Der Beklagte sei seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von ca. zwei Dritteln und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge. Der OGH befand die Revision des Beklagten aufgrund einer Fehlbeurteilung der Vorinstanzen für zulässig und berechtigt. Aus der Begründung:

Aufgrund des in Österreich gelegenen Unfallorts hielt der OGH zunächst fest, dass die geltend gemachten Ansprüche zutreffend nach österreichischem Recht behandelt wurden (Art 4 Abs 1 Rom-II-VO).

Ob die am Unfall schuldlose Klägerin Anspruch auf Ersatz ihrer Schäden hat, hänge davon ab, ob der Beklagte seine Aufsichtspflicht iSd § 1309 ABGB verletzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Kläger die Unterlassung der Obsorge und der Aufsichtspflichtige seine Schuldlosigkeit beweisen. Das Maß der Aufsichtspflicht bestimmt sich danach, was angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Aufsichtsbedürftigen vom Aufsichtsführenden vernünftigerweise verlangt werden kann. Für die Obsorgepflicht iSd § 1309 ABGB ist daher entscheidend, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihre Kinder zu verhindern.

Ebenso wie bei einem Schilehrer, könne die Auswahl eines bestimmten Geländes dem Beklagten nur dann zum Verschulden gereichen, wenn zwischen dem schiläuferischen Können des Kindes und dem Schwierigkeitsgrad des zu befahrenden Geländes ein krasses Missverhältnis besteht.

Der Unfallbereich war für das Kind zwar zweifellos zu schwer zu befahren, und der Beklagte, der die Piste bereits vor dem Unfall mit seinen Söhnen abgefahren war, musste diesen schwierigen Bereich auch kennen; allerdings war den Familienmitgliedern bekannt, dass das Steilstück nicht zwingend zu befahren war. Dem Beklagten kann daher die Auswahl dieser Piste nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil sie im Hinblick darauf, dass das Steilstück nicht zwingend zu befahren war, jedenfalls den Kriterien einer blauen (also leichten) Piste entsprach. Angesichts der feststehenden Qualifikation des Kindes als mittelmäßiger Schifahrer bestand kein Anlass für den Beklagten, der Auskunft des Schilehrers nicht zu vertrauen.

Für den OGH war nicht ersichtlich, „auf welche Weise auch immer“ der Beklagte konkret hätte verhindern können, dass sein Sohn die Kontrolle über seine Schi verliert und so überhaupt erst in den steilen Unfallbereich gerät. Für den OGH war nicht nachvollziehbar, inwiefern der Sohn in dieser Situation doch noch bremsen hätte können, wenn der Beklagte noch näher bei ihm gewesen wäre.

Der OGH befand den Schadenersatzanspruch der Klägerin daher mangels Verletzung seiner Aufsichtspflicht durch den Beklagten schon dem Grunde nach nicht berechtigt, sodass das gesamte Begehren abgewiesen wurde.