OGH-Entscheidung vom 23.2.2021, 4 Ob 181/20a
Sachverhalt:
Der elfjährige Kläger fuhr auf einer Schipiste mit „Wellenbahn“, die mit einer Tafel gekennzeichnet war. Ein großes Transparent mit einem Straßenverkehrssymbol „Achtung“ und dem darunter angebrachten Schriftzug „Slow“ war ebenfalls angebracht. Nach Ende der Wellenbahn und nach dem Einfahren in die Publikumspiste stieß er mit einem dort fahrenden Schifahrer zusammen und verletzte sich.
Der Kläger ist ein sehr guter Schiläufer. Er verfügt über eine Dauerkarte für das Schigebiet der Beklagten und kannte auch die Wellenbahn sehr gut. Die letzte Welle war zum Unfallszeitpunkt zumindest zehn Meter vom Ende der Wellenbahn entfernt. Die Piste weist im Bereich der Zusammenflussstelle zwischen Hauptpiste und Wellenbahn einen geringen Schwierigkeitsgrad auf. Beim Können des Klägers wäre es nicht schwierig gewesen, nach der letzten Welle abzuschwingen und sich kontrolliert in die Publikumspiste einzuordnen.
Der Kläger begehrte vor Gericht von der beklagten Pistenhalterin Schadenersatz in Höhe von 20.756 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten.
Entscheidung:
Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht sprach mit Teil- und Teilzwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehe, wies das Mehrbegehren und das Feststellungsbegehren in einem 50 % übersteigenden Ausmaß ab. Der OGH befand die dagegen gerichtete Revision der Beklagten für zulässig und berechtigt.
Zum Unfallzeitpunkt bestand zwischen den Streitteilen ein Vertragsverhältnis. Den Halter einer Skipiste treffen als vertragliche Nebenverpflichtungen Schutzpflichten gegenüber seinen Vertragspartnern. Pistenbenützer sind zu einer kontrollierten Fahrweise verpflichtet. Der Schifahrer nimmt Hindernisse und Gefahren, die sich aus dem Wesen der Schiabfahrt ergeben, in Kauf und muss sie selbst bewältigen. Entsprechende Schutzmaßnahmen des Pistenbetreibers sind dort erforderlich, wo dem Schifahrer nicht oder nur schwer erkennbare Hindernisse oder Gefahren drohen. Die den Pistenhalter treffende Pflicht zur Sicherung der Piste bedeutet aber nicht die Verpflichtung, den Schifahrer vor jeder möglichen Gefahr zu schützen; denn eine vollkommene Verkehrssicherung ist weder auf Schipisten noch sonstwo zu erreichen.
Bei der verfahrensgegenständlichen Wellenbahn handelt es sich um eine Sonderfläche, die als „Fun-Park“ bezeichnet werden und in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten. Den Halter von Fun-Parks treffen besondere Sicherungspflichten. Er hat das betreffende Gelände räumlich abzugrenzen, sodass ein angemessener Sturzraum zur Verfügung steht, eine Gefährdung der Pistenbenützer ausgeschlossen ist und ein verantwortungsbewusster Benützer der allgemeinen Piste nicht unbeabsichtigt in den Fun-Park-Bereich geraten kann.
Im vorliegenden Fall war die letzte Welle der Wellenbahn zumindest zehn Meter vom Ende des Sondergeländes entfernt. Diese Distanz wäre für den Kläger ausreichend gewesen, um nach der letzten Welle abzuschwingen und sich kontrolliert in den Fluss der Piste einzuordnen. Es bestand keine wechselseitige Sichtbehinderung und das Ende der Wellenbahn war gut erkennbar und derart ausgeschildert, dass die Benutzer zum Langsamfahren aufgefordert wurden. Der OGH teilte die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht, wonach die Auslaufstrecke der Wellenbahn bis zur allgemeinen Piste zu kurz gewesen sei. Es besteht während der gesamten Fahrtstrecke auf der Sonderfläche keine Sichtbehinderung zur Publikumspiste, sodass jeder Benutzer seine Geschwindigkeit auf den Verkehr auf der Hauptpiste einstellen kann, wozu er auch verpflichtet ist.
Nach ständiger Rechtsprechung sind nur atypische Gefahren zu sichern; also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiters erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann. Atypisch ist demnach eine Gefahr, die unter Bedachtnahme auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch für einen verantwortungsbewussten Schifahrer unerwartet oder schwer abwendbar ist Eine solche atypische Gefahr lag hier nicht vor. Die Klage wurde daher abgewiesen.