OLG Wien-Entscheidung vom 30.5.2023, 3 R 50/23d

 

 

Sachverhalt:

Während ihrer Hochzeitsreise auf den Philippinen stürzte ein junges Ehepaar infolge einer kollabierenden Brücke mit ihrem Mietwagen ins Wasser. Die Ehefrau (Klägerin) konnte sich aus dem Auto befreien und wurde nur leicht verletzt; ihr Ehemann kam bei dem Unfall ums Leben.

Die Beklagte ist die Medieninhaberin einer Website und eines Instagram-Profils. Die Beklagte veröffentlichte auf beiden Medien Berichte über diesen Unfall. Die Klägerin und ihr Mann wurden in den Artikeln als „E* und A* G*. aus Österreich“ bezeichnet. E* habe die Frontscheibe des Wagens eingeschlagen und seiner schwangeren Ehefrau aus dem Wrack geholfen. Bei dem Unglück seien insgesamt vier Menschen ums Leben gekommen, 17 weitere seien verletzt worden. Beide Berichte waren mit jeweils einem Foto illustriert, zeigend – deutlich erkennbar – die Klägerin, am Boden hockend und über einen Leichensack gebeugt. Die Berichte waren außerdem mit weiteren (fröhlichen) Urlaubsfotos des Paars illustriert.

Die Klägerin wurde nach dem Unfall von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten auf viele Artikel über ihren Unfall angesprochen, vor allem auf die Fotos, insbesondere die mit dem Leichensack. Die Klägerin klagte auf Unterlassung und Zahlung von Schadenersatz. Die Klägerin stütze ihre Ansprüche auf § 78 UrhG iVm § 17a Abs 3 ABGB, auf § 81 und auf § 87 Abs 2 UrhG.

 

Entscheidung:

In der mündlichen Verhandlung wurde ein Teilvergleich über das Unterlassungsbegehren (bezüglich der Veröffentlichung von Abbildungen der Klägerin) geschlossen. Das Erstgericht wies das restliche Klagebegehren ab. Dagegen erhob die Klägerin Berufung. Sie wollte erreichen, dass auch Abbildungen, auf denen ihr verstorbener Ehemann erkennbar sind vom Unterlassungsgebot umfasst sein sollen. Zudem sei ihr Schadenersatzbegehren zu Unrecht abgewiesen worden.

Das OLG Wien gab der Berufung teilweise Folge. Gemäß § 78 Abs 1 UrhG dürfen Bildnisse von Personen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten oder, falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden. Durch diese Bestimmung soll jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit geschützt werden, also insbesondere auch dagegen, dass durch die Verbreitung seines Bildnisses sein Privatleben der Öffentlichkeit preisgegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Missdeutungen Anlass geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt. Bei der Geltendmachung der Ansprüche (wie hier) durch einen nahen Angehörigen kommt es schon nach dem Gesetzeswortlaut auf dessen Interessen an, wobei seine Interessen im Regelfall schon dann beeinträchtigt sind, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu seinen Gunsten ausgegangen wäre. Zweck des Rechtes der nahen Angehörigen ist nämlich auch die Wahrung der Interessen des Verstorbenen (siehe zB DIESE Entscheidung).

Eine Berichterstattung eines Mediums über den tragischen Unfall auf den Philippinen ist zulässig. Es besteht ein öffentliches Informationsinteresse am Unfallhergang. Die Veröffentlichung der beanstandeten Fotos – zeigend die Klägerin neben ihrem toten Gatten, aber auch die Klägerin und ihren Ehemann wenige Tage vor dem Unglück – leistet allerdings keinen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse, sondern soll nur die Neugierde des Publikums befriedigen. Demgemäß besteht grundsätzlich auch wegen der Veröffentlichung der Fotos des Ehemanns ein Unterlassungsanspruch nach § 78 Abs 1 UrhG.

Die Beklagte musste infolge des Strafverfahrens bereits EUR 16.000 Entschädigung an die Klägerin bezahlt. Die Klägerin klagte weiteren Schadenersatz von EUR 5.000 ein, weil die inkriminierten Artikel die intimste Sphäre des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Klägerin nach außen getragen haben. Dadurch werde ihr soziales Ansehen und ihr wirtschaftlicher Ruf schwerwiegend beeinträchtigt. Sie werde aufgrund der emotionsheischenden Berichterstattung als psychisch labil eingestuft und bemitleidet, was vor allem für ihre Tätigkeit als selbständige Physiotherapeutin von großem Nachteil sei.

Grundsätzlich gebührt eine Entschädigung nach § 87 Abs 2 UrhG nur bei einer ernsten Beeinträchtigung des Verletzten, die den mit jeder Zuwiderhandlung verbundenen natürlichen Ärger überschreitet. Der Geschädigte, der einen Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG geltend macht, muss demgemäß konkret vorbringen, welche besonderen Nachteile er durch die schuldhafte Rechtsverletzung erlitten hat, warum das Verhalten des Schädigers eine besondere Kränkung darstellt und welche besonderen Umstände den Zuspruch immateriellen Schadens rechtfertigen sollen.

Das Berufungsgericht befand die vom Strafgericht zuerkannten EUR 16.000 als angemessen; diese Entschädigung ist auf den Schadenersatzanspruch der Klägerin anzurechnen. Der Artikel der Beklagten wurde nach drei Tagen gelöscht und in Österreich nur insgesamt etwas über 700-mal abgerufen. Das Berufungsgericht bestätigte daher die Abweisung des Zahlunsgbegehrens.

 

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