OGH-Entscheidung vom 17.2.2014, 4 Ob 203/13a

Sachverhalt:

Ende Juli 2012 wurde in Wien ein Rechtsanwalt  ermordet. Da zunächst keine Leiche gefunden wurde, ging die Öffentlichkeit anfangs von einer Entführung aus. Auf einer Nachrichten-Website wurde Anfang August 2012 ein Artikel inkl. Foto des Rechtsanwalts veröffentlicht. Das Foto zeigte den Rechtsanwalt  in einer Fotomontage mit leicht bekleideten Frauen in lasziven Posen. Die Überschrift des Artikels lautete: „Dubiose Geschäfte. Russen-Anwalt: Spur ins Rotlicht.“ Im Begleittext hieß es, dass der Entführungsfall immer mysteriöser werde und sich die Hinweise verdichten, dass „Firmen des Anwalts Geschäfte mit Russen aus der Rotlichtszene gemacht haben könnten.“ Laut „Insiderkreisen“ der Polizei, sei unter diesen Firmen auch ein Reisebüro für „betuchte Russen“, das als Deckmantel benutzt worden sein könnte, um Frauen aus dem Osten nach Wien zu holen. Unklar sei, ob diese dann ins „Milieu“ vermittelt worden seien und wie viel der Anwalt davon gewusst habe. Die Polizei habe jedenfalls Kontakt zu „Österreichs bekanntestem Rotlicht-Club“ aufgenommen.

Tatsächlich hatte ein Pressesprecher der Polizei einer Journalistin der Beklagten mitgeteilt, dass man in einem einschlägigen Lokal ermittle, weil Geschäftsfreunde des Anwalts dort verkehrten. Dabei hatte der Pressesprecher angedeutet, dass ein Reisebüro, an dem der Anwalt beteiligt sei, möglicherweise als „Deckmantel“ diene. Diese Information sei jedoch geheim; die Journalistin dürfe nur zitieren, dass die Polizei Kontakt mit dem Lokal aufgenommen habe. Davon, dass der Anwalt selbst involviert sein könnte, war im Gespräch mit dem Pressesprecher nicht die Rede gewesen; der Pressesprecher hatte auch keinen Verdacht in Richtung Menschenhandel geäußert.

Nach Erscheinen des Artikels veröffentlichte die Polizei eine Presseaussendung, wonach es keine Anhaltspunkte für eine Verbindung des Anwalts zum Rotlichtmilieu gebe. Auch auf der Nachrichten-Website selbst wurde einige Monate später (während des anhängigen Prozesses) eine Richtigstellung  veröffentlicht, allerdings war diese nicht gut sichtbar.

Der Vater des Rechtsanwalts klagte schließlich auf Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und Schadenersatz, weil sowohl die Interessen des Verstorbenen als auch seine eigenen Interessen durch die Berichterstattung beeinträchtigt wurden.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren größtenteils statt (das Schadenersatzbegehren wurde abgewiesen). Der Kläger könne als Vater des Abgebildeten nach § 78 Abs 2 iVm § 77 Abs 2 UrhG den postmortalen Bildnisschutz geltend machen. Dabei seien sowohl seine als auch die Interessen des Abgebildeten maßgebend. Der Verdacht von Kontakten zur Rotlichtszene sei durch die Mitteilungen des Pressesprechers nicht gedeckt gewesen.

Der OGH wies die außerordentliche Revision der Beklagten zurück. Aus der Begründung:

Der Kläger ist nach § 78 Abs 2 iVm § 77 Abs 2 UrhG ein naher Angehöriger des Abgebildeten. Er macht zurecht geltend, dass (auch) seine Interessen durch die beanstandete Veröffentlichung beeinträchtigt wurden.

Nach § 78 Abs 1 UrhG dürfen Bildnisse von Personen nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten oder falls er gestorben ist […] eines nahen Angehörigen verletzt würden. Nach diesem Wortlaut kommt es nach dem Tod des Abgebildeten ausschließlich auf die Verletzung der Interessen der nahen Angehörigen an. Es liegt daher an sich nahe, dass der Kläger gesondert darlegen müsste, warum gerade seine Interessen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt worden seien.

Diese Auffassung wird jedoch durch die Gesetzesmaterialien relativiertDiese nehmen zum postmortalen Brief- und Aufzeichnungsschutz nach § 77 Abs 1 UrhG an, dass diese Interessen jedenfalls schon dann beeinträchtigt werden, wenn das „Andenken“ des Verstorbenen verunglimpft wird. Diese Auffassung wird man dem Gesetzgeber auch für den Bildnisschutz nach § 78 UrhG unterstellen können.

Die bisherige Rechtsprechung und Lehrmeinungen zum postmortalen Brief- und Bildnisschutz nach den §§ 77 und 78 UrhG sind wenig ergiebig.

Zusammenfassend hielt der OGH fest, dass für die §§ 77 und 78 UrhG daran festzuhalten ist, dass

  • das Gesetz nach dem Tod des Betroffenen einen Anspruch der nahen Angehörigen vorsieht,
  • es dabei schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen auf deren Interessen ankommt,
  • diese Interessen aber im Regelfall schon dann beeinträchtigt sein werden, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre.

Eine besondere Begründung für eine eigene Interessenbeeinträchtigung der Angehörigen ist daher nicht erforderlich. Zweck des Rechts der Angehörigen ist zumindest auch die Wahrung der Interessen des Verstorbenen.

Der Beitrag der Beklagten hätte zu Lebzeiten des Abgebildeten zweifellos dessen berechtigte Interessen beeinträchtigt. Für seine in der Überschrift und im Text nahe gelegten und bildlich sogar explizit dargestellten Verbindungen zum Rotlichtmilieu gibt es keinen Anhaltspunkt; dass Kunden eines Anwalts in solchen Kreisen verkehren, rechtfertigt keinesfalls den Schluss auf diesen selbst. Auch den Äußerungen des Pressesprechers konnte die Journalistin der Beklagten solches nicht entnehmen.

Die Einhaltung der journalistischen Sorgfalt ist in § 78 UrhG nicht als Rechtfertigungsgrund vorgesehen. Denn das grundrechtlich geschützte Informationsinteresse der Medien ist ohnehin im Rahmen der jedenfalls durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.

Hätte der Verstorbene ein berechtigtes Interesse an einer Urteilsveröffentlichung gehabt, wird auch ein entsprechendes Interesse des Angehörigen bestehen.  Es besteht daher auch ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Urteils, weil dadurch das Ansehen des Abgebildeten wiederhergestellt werden kann, was auch im Interesse der Angehörigen liegt. Auch hier ist es daher nicht erforderlich, dass der Angehörige besonders begründet, weshalb er selbst ein über die Wahrung des Ansehens des Betroffenen hinausgehendes Interesse an der Veröffentlichung hätte.

Dass die in Betracht kommenden Angehörigen den Anspruch nur gemeinsam geltend machen könnten, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Auch jeder einzelne Miteigentümer kann Eingriffe in das Eigentum an einer gemeinsamen Sache abwehren. Nichts anderes kann gelten, wenn durch den Eingriff in das Ansehen oder die Privatsphäre eines Verstorbenen mittelbar die Interessen mehrerer Angehöriger beeinträchtigt werden.