OGH-Entscheidung vom 29.5.2017, 6 Ob 61/17i

Sachverhalt:

In einer Tageszeitung erschien ein Artikel, der die Buchveröffentlichung einer (laut Überschrift) „Domina, Zuhälterin, Mörderin“ zum Inhalt hatte. Die Frau war wegen Mordes an ihrem Ehemann zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. In dem Artikel wurde die Behauptung aufgestellt, dass der Ehemann sie vor dem Mord mit einem Rasiermesser verletzt haben soll.

Nach dem Erscheinen des Artikels wurden die Eltern (hier Kläger) des ermordeten Mannes von mehr als fünf Personen aus dem Bekanntenkreis darauf angesprochen, dass sie gar nicht gewusst hätten, dass ihr Sohn seine Ehefrau verletzt habe, bevor er von ihr getötet worden sei. Der Artikel führte bei beiden Klägern zu Wut und Trauer über die unwahre Behauptung. Die Kläger behaupteten, durch die Veröffentlichung des Artikels seien das Andenken ihres Sohnes verunglimpft und ihre berechtigten Interessen verletzt worden. Im Strafverfahren sei keine Halsverletzung der Mörderin festgestellt worden. Die Berichterstattung unter Verwendung des Bildnisses ihres ermordeten Sohnes sei eklatant tatsachenwidrig gewesen. Sie seien nach der Veröffentlichung immer wieder mit der für sie quälenden und auch kränkenden Frage konfrontiert worden, was nun eigentlich geschehen sei.

Die Kläger begehrten von der Medieninhaberin der Tageszeitung die Unterlassung, Zahlung von je 1.500 EUR Schadenersatz und Veröffentlichung.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren statt. Der OGH erachtete die Revision der beklagten Partei aus Gründen der Rechtssicherheit für zulässig und auch teilweise berechtigt.

Hinsichtlich des Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehrens  wurde die Entscheidung der Vorinstanzen nicht beanstandet. Denn beim Anspruch nach § 78 UrhG ist nicht das Bild allein zu beurteilen, sondern auch die Art der Verbreitung und der Rahmen, in welchen das Bild gestellt wurde. Ein entscheidender Gesichtspunkt ist, ob die Person des Abgebildeten durch die Veröffentlichung in einen nicht den Tatsachen entsprechenden Zusammenhang gestellt wurde. Es ist auch der mit dem veröffentlichten Bild zusammenhängende Text zu berücksichtigen.

Bei der Auslegung von Äußerungen ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers, nicht aber der subjektive Wille des Erklärenden maßgebend. Der Artikel suggerierte dem unbefangenen Leser einen Zusammenhang zwischen der Verletzung und der Ermordung. Durch die Veröffentlichung wurden daher berechtigte Interessen des Verstorbenen verletzt, da doch dadurch der Mord in die Nähe einer – in Wahrheit nicht gegebenen – Notwehrsituation gerückt wurde. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung gem Art 10 EMRK kann eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen nicht rechtfertigen.

Dass nach dem Tod des Betroffenen die nahen Angehörigen im Wege des postmortalen Persönlichkeitsschutzes Ansprüche nach § 78 UrhG geltend machen können, entspricht mittlerweile gefestigter Rechtsprechung. In der Regel sind die Interessen der klagenden Angehörigen schon dann beeinträchtigt, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre.

Berechtigt war die Revision jedoch, soweit sie sich gegen den Zuspruch von Schadenersatz wendet. Ein Anspruch Angehöriger auf Ersatz immaterieller Schäden aus einer postmortalen Persönlichkeitsverletzung ist ausgeschlossen, weil beim Verstorbenen kein Gefühlsschaden eingetreten ist. Eine Verletzung des § 78 Abs 1 UrhG kann für die nahen Angehörigen nur einen Anspruch auf Unterlassung und gegebenenfalls auf Veröffentlichung begründen. Der Schadenersatzanspruch nach § 87 UrhG ist dagegen höchstpersönlich und unvererblich. Anderes würde nur dann gelten, wenn der Anspruch bereits vor dem Tod entstanden wäre und der Verstorbene bereits vor seinem Tod alles Erforderliche zur Durchsetzung des Anspruchs getan hat. Diese Umstände liegen hier aber nicht vor.

Bereits Anfang des Jahres verneinte der OGH einen Anspruch Angehöriger auf Ersatz immaterieller Schäden aus einer postmortalen Persönlichkeitsverletzung. Der Blog-Beitrag dazu findet sich hier.