OGH-Entscheidung: OGH 19. 3. 2013, 10 ObS 169/12v

Bei dieser Entscheidung handelt es sich um erstmalige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Tatbestandsmerkmal „in der Nähe der Arbeitsstätte“ des § 175 Abs 2 Z 7 ASVG.

Im vorliegenden Fall fuhr eine Arbeitnehmerin in ihrer zweistündigen Mittagspause mit ihrem Auto von ihrer Arbeitsstätte zu einem 12 km entfernten Parkplatz eines Supermarkts. Sie kaufte dort nicht ein, sondern verzehrte eine mitgebrachte Jause und blieb ungefähr eine halbe Stunde auf dem Parkplatz. Auf der Rückfahrt zur Arbeitsstätte wurde sie bei einem Auffahrunfall verletzt. Strittig war, ob der Unfall als Arbeitsunfall durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt ist.

Der OGH wies zunächst darauf hin, dass nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG als Arbeitsunfälle auch Unfälle gelten, die sich auf einem Weg von und zur Arbeitsstätte ereignen, den der Versicherte zurücklegt, um während der Arbeitszeit einschließlich der Arbeitspausen „in der Nähe der Arbeitsstätte“ lebenswichtige persönliche Bedürfnisse zu befriedigen (zB Essen, Trinken, Verrichtung der Notdurft). Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Weg zur Nahrungsaufnahme in der Nähe der Arbeitsstätte auch dann geschützt, wenn der Versicherte dort nicht Lebensmittel zum Konsum an diesem Ort erwirbt, sondern dort mitgebrachte Speisen und Getränke verzehrt, oder wenn er die Lebensmittel besorgt hat, um das Essen unmittelbar danach an der Arbeitsstätte einzunehmen. Allerdings sei die zu § 175 Abs 2 Z 1 ASVG entwickelte ständige Rechtsprechung, dass der Versicherungsschutz auf dem Arbeitsweg von der Wohnung des Versicherten zu seiner Arbeitsstätte grundsätzlich nur auf dem direkten Weg zwischen diesen Orten besteht. Eine gewisse Bewegungsfreiheit werde jedoch zugestanden. Welcher Ort noch „in der Nähe“ liegt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Im Allgemeinen müsse der Ort von der Arbeitsstätte zu Fuß in einer Zeit erreichbar sein, in der während der Arbeitspause Hin- und Rückweg zurückgelegt und das Essen eingenommen werden kann. Wird ein weit entfernter Ort aufgesucht und ist dies nicht mehr wesentlich durch die Notwendigkeit der Essenseinnahme geprägt, so ist der Weg nicht geschützt.

Im vorliegenden Fall lässt sich das Aufsuchen des 12 km von der Arbeitsstätte entfernten Parkplatzes eines Supermarkts, um dort die mitgebrachte Jause einzunehmen, nicht mehr wesentlich durch die Notwendigkeit der Essenseinnahme bestimmt ansehen, sondern war vielmehr allein durch das eigenwirtschaftliche Interesse des Zeitvertreibs in der Arbeitspause geprägt.

Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls wurde daher verneint und deshalb das Klagebegehren der Dienstnehmerin auf Gewährung einer Versehrtenrente abgewiesen.