OGH-Entscheidung vom 23.10.2013, 2 Ob 72/13x

Sachverhalt:

Eine Frau wurde im Zuge eines Verkehrsunfalls von einem LKW niedergestoßen und überrollt. Das alleinige Verschulden an dem Unfall traf den Fahrer des LKWs. Die Frau wurde bei dem Unfall schwerst an den Beinen verletzt, wurde 10 Tage auf der Intensivstation behandelt und musste sich 13 Operationen unterziehen. Nach beinahe zwei Monaten Krankenhausaufenthalt sie in häusliche Pflege entlassen, danach folgten Rehabilitationsaufenthalte.

Die Frau klagte auf Zahlung von Schadenersatz und Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Diesem Klagebegehren wurde stattgegeben.

Zu einem längeren Verfahren führte das Klagebegehren des Ehemanns der Klägerin. Als Zweitkläger begehrte er für die erlittenen seelischen Schmerzen die Zahlung von Schmerzengeld iHv EUR 15.000. Er brachte vor, aufgrund des schweren Verkehrsunfalls seiner Ehefrau und deren lebensgefährlichen Verletzungen ca 8 bis 10 Wochen lang unter posttraumatischen Belastungsstörungen mit Krankheitswert sowie unter Anpassungsstörungen im Sinne einer depressiven Reaktion gelitten zu haben. Er habe wochenlang seiner Arbeit nicht nachgehen können. Bis heute sei das Sexualleben der Eheleute gestört. Der lange Aufenthalt der Klägerin in der Intensivstation zeige, dass es sich um eine „schwerste“ Verletzung gehandelt habe, die den Zuspruch von Angehörigenschmerzengeld rechtfertige. Es lägen auch Dauerfolgen vor. Die Kosten der von ihm benötigten psychologischen Betreuung in Höhe von 300 EUR seien ihm ebenfalls zu ersetzen.

Entscheidung:

Im ersten Rechtsgang wiesen die Vorinstanzen das Begehren des Zweitklägers ab. Sie begründeten dies im Wesentlichen damit, dass die von der Erstklägerin erlittenen Verletzungen nicht den in der Rechtsprechung für den Zuspruch von Angehörigenschmerzengeld geforderten Schweregrad erreichen würden.

Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
In seiner Begründung führte der OGH aus, dass ein bei einem nahen Angehörigen des Unfallopfers durch die Unfallnachricht ausgelöster Schockschaden von Krankheitswert den Zuspruch eines Schmerzengeldes nicht nur im Falle des Todes des Unfallopfers sondern auch dann rechtfertige, wenn das Unfallopfer „schwerste Verletzungen“ erlitten hat. Diese Verletzungen müssten im Zeitpunkt der Nachricht von einer solchen Schwere sein, dass entweder akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit besteht. Eine nachträgliche Besserung dieses Zustands sei für die Haftung des Schädigers bedeutungslos.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht nach weiteren Feststellungen dem Begehren des Zweitklägers im Umfang von 10.300 EUR statt. Nach den weiteren Feststellungen sei zum Zeitpunkt der Benachrichtigung des Zweitklägers bei der Erstklägerin akute Lebensgefahr vorgelegen. Durch die Unfallnachricht sei beim Zweitkläger zuerst ein akuter Schockzustand ausgelöst worden, der einige Tage angedauert habe, etwa so lange, bis die Erstklägerin das erste Mal ansprechbar gewesen sei. Aufgrund der nicht absehbaren schwierigen Situation und der Angst um das Leben und die Beine der Ehefrau seien die näher beschriebenen psychischen Leidenszustände eingetreten. In weiterer Folge hätten aber auch die mit den schweren Verletzungen seiner Ehefrau verbundenen familiären und zwischenmenschlichen Belastungen eine Rolle gespielt, wodurch der psychotraumatische Leidenszustand verlängert worden sei. Ein Schmerzengeld von 10.000 EUR erscheine angemessen, auch die Therapiekosten iHv EUR 300 stünden dem Zweitkläger zu.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die dagegen erhobene Revision der Beklagten wies der OGH zurück, da keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen waren.
Das Berufungsgericht hat die erstgerichtlichen Feststellungen vertretbar dahingehend ausgelegt, dass die psychische Erkrankung des Zweitklägers primär durch die Unfallnachricht ausgelöst worden ist. Diese war dann aber nicht nur für den ersten Schockzustand, sondern auch für die danach folgenden Leidenszustände des Zweitklägers von Krankheitswert adäquat kausal. Es begründet keine korrekturbedürftige Verkennung der Rechtslage, wenn das Berufungsgericht darin keinen entscheidenden Umstand sah, dass der Zweitkläger nicht nur um das Leben und die Gesundheit seiner Ehefrau bangte, sondern auch vor den auf ihn zukommenden Belastungen Angst hatte.